Sonntag, 26. Juli 2020

THERE'S MORE TO LIFE THAN...


…“Exai“. Denn während die halbe Electronicawelt das neue Album der unter dem Namen Autechre firmierenden Glitch- und Abstraktionsfrickler Rob Brown und Sean Booth heiß diskutiert, schickt sich der in Bukarest beheimatete Produzent Octavian Justinian Uta a.k.a. Yvat an, den beiden britischen Herren mit seiner neuen Veröffentlichung auf Minor Label klammheimlich den Rang als Electronica-König abzulaufen. War sein letztes Release „Collider“ noch geprägt von industrieller Härte geht es auf der auf 200 Exemplare limitierten „Feldspar EP“ in vier Variationen um die Verknüpfung abstrakter, teils verfrickelter Beats mit warmen Bassläufen und zarten, träumerischen Melodien sowie – siehe auch „Feldspar 1.2“ - einer weltraumkalten sci-fi Attitüde, die auch den Autechre-Releases der mittneunziger Jahre innewohnte. Es ist doch immer wieder erstaunlich wieviel verborgenes Talent sich noch in den Staaten des ehemaligen Ostblocks weitgehend unter dem Radar der westlichen Wahrnehmung bewegt und dann von entdeckungsfreudigen Klein- und Kleinstlabels an die Oberfläche gefördert werden – watch out for Yvat, ich prophezeihe dem Mann noch Großes.

Groß im Sinne von episch über zwei CDs verteilt ist auch das „Live / Remix“-Album des Londoner Portico Quartet auf Real World Records, das mit seiner Musik zwischen Ambient, Electroakustik, TripHop / Downbeat sowie immer wieder auch frei fliessenden Jazz-Elementen und ein wenig cineastischem Kitsch pendelt. Während sich die „Live“-CD aus Tourmitschnitten des Jahres 2012 zusammensetzt und so die Arbeit der Musiker auf der Bühne im Zusammenspiel mit dem Publikum perfekt einfängt, treffen sich im „Remix-Teil unter anderem so illustre Namen wie SBTRKT, Luke Abbott, DVA und Konx Om Pax, verleihen dem Portica Quartet einen neuen Anstrich und transferieren die Tiefe der Originale in Richtung Future Garage, lange verschollenen geglaubte Sublow-Areale – DVA! -, Dillon'esque unschuldigen Experimentalpop, bassgetriebene TechGarage-Hybriden oder liebliche Ambientsphären zu einem rundum gelungenen Gesamtpaket, das jede CD-Sammlung bereichert. Gut.

Im Gegensatz zu vorgenannter, doch recht dezent daherkommender Veröffentlichung präsentiert sich das dieser Tage schwer gehypte Imprint Long Island Electrical Systems, kurz: L.I.E.S., mit seiner aktuellen Veröffentlichung nahezu unversöhnlich brachial, geht es bei den drei auf Verekers „Rosite EP“ enthaltenen Tracks doch um Musik für fortgeschrittene Bunkerbeschallung. Dumpfer, roher und brutalstmöglich analoger Acid und Techno, der sich mit seiner Live-Anmutung und vermittels langer Tracklaufzeiten wunderbar durch die äußersten Schalen des zerfeierten Raverhirns frisst und dort bösartig blubbernde Säurespuren hinterlässt, auch wenn die 303 nur auf dem titelstiftenden A-Seiten-Tune offensiv zwirbelt. Musik für das Leben im Untergrund.


Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 05/2013

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