Donnerstag, 16. Juli 2020

THERE'S MORE TO LIFE THAN...


…being short of time. Denn für manche Veröffentlichungen braucht es Ruhe und Zeit, sie müssen reifen wie ein guter Whisky und vor allem auch wie dieser möglichst in einem Moment ungetrübter Aufmerksamkeit konsumiert werden.

Jene Aufmerksamkeit verlangt zum Beispiel das aktuelle und vor allem auf nur 25 mittlerweile wahrscheinlich vergriffene Exemplare limitierte Opus Magnum des nimmermüden Sascha Müller unter dem Titel „Sun Moon Stars“. Erschienen schon am 21.12.2012 – in Zeiten der kurzen Aufmerksamkeitsspannen rekapitulieren wir: Weltuntergang... nee, doch nicht. - geriet dieses schon auf Grund seiner blossen Gesamtlänge von 180 Minuten verteilt auf 3CDrs mit jeweils einem einzigen einstündigen Track ein wenig in Rezensionsverzug. Doch die Rückstellung hat sich gelohnt, finden sich hier doch spannende Variationen in LoopAmbient – zum einen hypnotisch pulsierend wie in „Sun“, unangenehm, strahlenkalt und mit psychoakustischen Effekten spielend (“Moon“) oder schlussendlich urtümlich rituell und getragen von den eindringlichen Didgeridoo-Schleifen der „Stars“. Wo nimmt der Mann nur die Vielzahl der Ideen und vor allem die Zeit für ihre Umsetzung her? Ohne direkte Vergleiche ziehen zu wollen nimmt diese Umtriebigkeit und Konzeptbezogenheit schon fast Namlook'sche Züge an.

Ebenfalls konzeptionell, wenn gleich auch musikalisch vollends anders orientiert ist das Album „Maskenball der Nackten“, das der ehemalige Goethes Erben-Frontmann Oswald Henke mit seiner kurz HENKE betitelten Band im März auf dem neuen Label Dryland Records veröffentlichte. Natürlich immer noch für alle Fans der schwarzen Szene unverkennbar er selbst - vor allem dank seines zuweilen sperrigen, immer jedoch leidenden Sprechgesangs - präsentiert sich das neue Projekt zwischen epischer, fast überladener Romantik („Grauer Strand“), abstrakter Nachdenklichkeit („Zeitmemory“) oder mal mehr, mal weniger offensichtlicher Ausrichtung auf die Zwei-Schritt-Vor-Und-Zwei-Zurück-Tanzfläche („Vergessen“ / „Epilog“). So verortet erschließt sich „Maskenball Der Nackten“ gerade dem Nichtvertrauten nicht zwingend beim ersten Durchlauf, fügen sich die Songs erst mit der Zeit zu einem düster nagenden Gesamtbild, auch wenn das treibende „Fernweh Ist“ szeneintern schnell zum Hit mutieren dürfte.

Im direkten Vergleich dazu veröffentlicht der Hamburger Künstler Incite Hu mit seiner kürzlich auf Hafenschlamm Records erschienen „Gift EP“ das Blueprint für verstörende Unmusik im Sinne der sogenannten Genialen Dilletanten und liefert mit den beiliegenden Digitalis-Samen zusätzlich echtes und nicht nur akustisches Gift für die geschundenen Seelen dieser Welt: verrauscht industrielles LoFi-Knorkeln trifft hallende Tapeschleifen mit verfremdeten Stimmfetzen, scheinbar gegenläufige Strukuturen und beklemmend paranoide Sounds. Während die A-Seite ohne Unterbrechung eine Liveperformance des Projektes im Golden Pudel Club dokumentiert liefert die Flipside der auf 147 Exemplare limitierten 12“ zwei Variationen des RhythmIndustrial AntiHits „Arsch Brennt“ und damit den idealen Soundtrack für den nächsten Spank-Exzess der Wahl.

Tl;dr: Unit Moebius trifft auf Vatican Shadow zur gemeinsam überdosierten Opium-/Crack-Party. Krank.


 Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 04/2013

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