Dienstag, 23. Juni 2020

THERE’S MORE TO LIFE THAN...

... 12“-Business – Teil 2. Denn dieser Tage erscheinen zu viele zu gute Alben in kurzer Abfolge und das Zeichensoll der Dezemberkolumne war zu schnell erfüllt, um sich wirklich komplett mit allen wichtigen Veröffentlichungen auseinanderzusetzen.

Sträflich vernachlässigt wurde in der letzten Ausgabe unter anderem die erste Vinylveröffentlichung der Illbient-Spezialistin Giulia Loli a.k.a. Mutamassik seit 2004, die sich jetzt mit ihrem auf 250 Exemplare limitierten Allbum „Rekkez“ auf dem belgischen Label ini.tu endgültig zurückmeldet, nachdem es abgesehen von zwei digitalen Veröffentlichungen auf RunRiot Records und Sa’aidi Hardcore Productions in 2009 und 2010 lange Zeit recht still um sie geworden war. Musikalisch geht es natürlich noch immer um Illbient und düster-experimentellen InstrumentalHop mit oft orientalischen Einschlägen, eingehüllt in musikalische Opiumwolken und fiebrige Stimmungen, die ihre visuelle Entsprechung im beigelegten Poster finden. Gut, das.

Ebenfalls aus Belgien kommt das Label Sub Rosa, dessen jüngster Streich das Re-Release des ursprünglich in typischer Industrialmanier auf C20-Cassette in Eigenregie veröffentlichten Etat Brut-Albums „Mutations Et Protheses“ aus dem Jahre 1981 ist. Zum ersten Mal überhaupt auf Vinyl erhältlich spiegelt das Material die frühe Phase der von 1979 – 1984 aktiven Industrial- / Noise-Pioniere wieder, die hier eindrucksvoll Echos und Verzerrer mit teils prägnantem, fast funky zu nennenden Bassspiel kombinieren und so die These von Industrial als totaler Antimusik konterkarieren; auch wenn der Lärm- / Abstraktionsfaktor hier natürlich enorm bleibt.

Um Längen zugänglicher, wenn nicht im direkten Vergleich sogar niedlich, kommt dagegen das Global Goon-Album „Plastic Orchestra“ auf dem Label 030303 daher. Elf auf Doppelvinyl verteilte Tracks interpretieren den Genrebegriff Electronica hier auf äußerst freundliche Weise und scheinen zumindest einen Teil ihrer Soundquellen tatsächlich aus Plastik- und/oder Kinderinstrumenten zu beziehen, während der andere Teil von alten Analogsynthies genährt scheint. Ein Album, bei dem mensch schnell das Gefühl bekommt, von der Musik geradezu umarmt zu werden. Sehr seltenes Phänomen dieser Tage und am liebsten würde ich jetzt sofort in einem Stück wie „Morphon Diezepad“ versinken, das gerade angenehm weich und anschmiegsam durch meine Boxen wabert. Toll.

Schlussendlich wird es an dieser Stelle sogar ausnahmsweise richtig tanzbar, verdient doch die Tatsache unbedingte Erwähnung, das Parris Mitchell’s 1994er Dance Mania-Album „Life In The Underground“ jüngst als Katalognummmer 001 des noch frischen Ghetto House Classics-Labels wiederveröffentlicht wurde - angeblich offiziell authorisiert durch Mr. Mitchell persönlich und neu gemastert vom Original-DAT. Furztrockener Chicago-Shit, natürlich mit den bei Dance Mania üblichen Ecken und Kanten, die für die jüngere Generation oft nicht mehr nachzuvollziehen sind, aber von roher Energie und Aufbruchstimmung zeugen. Gibt’s so heute nicht mehr. Schade auch. Ist nämlich geil. Und Tracks wie „Work It (Re-Mix)“ oder „Ghetto Booty“ sind der Juke von vor verdammten 18 Jahren. Schon deshalb: kaufen.

Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 01/2013

Dienstag, 9. Juni 2020

THERE’S MORE TO LIFE THAN...


... 12“-Business. Je länger meine Entscheidung nun zurückliegt, mich weitgehend anderen Dingen als dem Nacht- und DJ-Leben zu widmen und - wenn überhaupt - nur noch auf wirklich reizvollen Veranstaltungen, in von Freunden geführten Locations, zu besonderen Anlässen oder – im Sinne des Kapitalismus - ganz pragmatisch für Summen aufzulegen, die den ganzen Aufriss einer durchgemachten Nacht auch lohnen und es ansonsten einfach bleiben zu lassen, desto wichtiger wird mir persönlich das Albumformat, auch wenn dessen bevorstehender Tod und die Fokussierung auf einzelne Songs im digitalen Zeitalter immer wieder von Künstlern und Labels beklagt wird. Und doch, ein komplett in sich stimmiges Album, am Stück gehört mit Freunden oder allein und ggf. begleitet von einem Glas hochwertigen Alkohol - dieser Tage bevorzugt Bourbon oder sofern verfügbar auch Rye – ist in der Lage Geschichten zu erzählen und den geneigten Hörer auf eine Reise mitzunehmen, die weit über das hinaus geht was die gewöhnliche Maxisingle zu leisten vermag.

Auf das Erzählen einer selbigen angelegt ist die erste Veröffentlichung des noch jungen Tapelabels Voluntary Whores, das mit dem auf 40 Kopien limitierten Release „I Was A Good Hunter Until That Day...“ des Projektes Bears. – mit Punkt! – zwischen Dark Ambient, Jazz-Drumming und Noize eine mysteriöse Begebenheit aus dem Kanada der 1930er Jahre nachzeichnet und damit durchaus gruselige Momente erzeugt. Krankes Zeug und auch ohne echte Sprecher ein ziemlicher Trip. Hörspiel (Not Hörspiel) dürfte wohl der passende Claim dafür sein.

Weniger gruselig, aber überaus begrüßenswert ist die Tatsache, das das großartige Rangleklods-Debutalbum „Beekeeper“ dieser Tage via Schoenwetter Schallplatten endlich auch auf Vinyl erhältlich ist. Luxuriös als Doppel-LP im Gatefold-Cover gibt es hier nicht nur die 10 Tracks des Albums sondern zusätzlich als D-Seite noch die „Home EP“ der Indie- / SynthPop-Formation, die jüngst als Vorband von WhoMadeWho tourte und mit ihren nebulös melancholiegetragenen Songs viele Herzen im Sturm eroberte. Ganz großes Songwriting, ein Gespür für überraschende Wendungen und tolle Videos. Ich prophezeie eine güldene Zukunft und lege die Band hiermit ALLEN unseren Lesern und besonders auch den Depeche Mode-Fans unter ihnen ans Herz – Songs wie „On Top“, „Riverbed“ oder „Clouds“ erklären das Warum von selbst, auch wenn Rangleklods weit weniger catchy daherkommen als viele klassische SynthPop-Bands, den Griff zur halbakustischen Gitarre nicht scheuen und dann auch Alternative Country können. Ein Album für die Ewigkeit und ich bin der kürzlich hier im Heft vorgestellten Nachteule Lilly Rumler für den Hinweis „So geil, musst Du unbedingt anhören“ zu ewigem Dank verpflichtet.

Eine weitere faszinierende Geschichte, diesmal aus der Vergangenheit, erzählt auch das englische Label Mordant Music, das mit der Wiederveröffentlichung des ursprünglich im Jahre 1979 erschienenen Albums „Recorded Music For Film, Radio & Television: Electronic Vol. 1“ aus der Feder des Musique Concrete-Komponisten Tod Dockstader einen spannenden Einblick in die elektronische Musik der Prä-Techno-Ära ermöglicht und insgesamt 13 kurze Synthesizer- / Cosmic- / Ambient-Experimente wieder zugänglich macht. Meines Erachtens nach schon aus historischen Gründen eine der wichtigsten Veröffentlichungen der letzten Wochen und zweifelsohne musikalisch immer noch hochaktuell. Get.


Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 12/2012