Nachdem Sascha Müller den
Formatfaschismus in diesem Jahr schon mit dem Revival von
DIY-Tapeauflagen und – wir erinnern uns – in Hardcases
verschraubten DVDrs aufs heftigste bekämpft hat, geht er mit seiner
neuen „Booty Flop“-Serie noch einen Schritt weiter und holt mit
3.5“-Disketten ein weiteres Medium aus dem Keller, dessen Tod schon
in den Neunzigern als vollends besiegelt galt und darüber hinaus nie
als Medium zur Veröffentlichung von Musik geeignet war. Enthalten
ist pro Veröffentlichung ein Track im 48 oder 64 kpbs aufgelösten
mp3-Format, limitiert auf 10 Kopien pro Laufnummer. Erwähnenswert
hier vor allem die Folge 1 der Serie mit einem obskuren MashUp von
Michael Jacksons „Billie Jean“, das klingt als wäre es durch
einen Telefonhörer an einer analogen Kupferleitung aufgenommen.
Völliger Irrsinn in Hyper-LoFi.
Dagegen ist die ebenfalls aus der
Müller’schen Feder stammende zweite Veröffentlichung auf dem
Label Psychocandies schon fast gewöhnlich, steckt hier doch eine auf
100 Stück limitierte 7“ mit hypnotischem AnalogAcid statt in
einem normalen Cover in einer semi-antiken 8“ Diskettenhülle.
Sieht nicht nur gut aus, klingt auch so.
Viel weiter und über den Rand des
verpackungstechnischen Wahnsinns hinaus geht in diesem Monat nur
Turgut Kocer mit seinem Materiau-Label und der Veröffentlichung des
fünfteiligen Gesamtwerkes „Eminenzen Gold“, das limitiert auf
insgesamt nur 3 Downloads und 7 Doppel-CDrs erscheint. Letztere
verpackt in einer verklebten 12“ Plastikhülle mit einem zusätzlich
verpackten, mehrseitigen Manifest mit einem teilverbrannten Photo,
Rollsplit, Kohlestückchen, Knäckebrotkrümeln und einer als
Samplequelle dienenden alten Schellackplatte als zusätzliche
Dreingabe. Ein großes FUCK YOU erstmal als Dank für die widerlich
schwarz eingestaubten Finger beim Öffnen des Paketes und kein
weiterer Kommentar zur Musik, da mein Laufwerk sich konsequent
weigert mehr als ein paar Sekunden der CDrs abzuspielen, bevor
verdächtige Brumm- und Knarzgeräusche aus seinem Inneren mich zum
panikartigen Abschalten des Gerätes zwingen, um einen Totalschaden
zu vermeiden. Die Vermutung liegt nahe, das die aufgebrachten Sticker
eine Rotationsunwucht verursachen, deren Folgen zumindest für mein
Laufwerk fatal sein könnten. Das ist nicht witzig.
Eine Verschiebung und Verzerrung des
Zeit- und Realitätsformates hingegen betreibt Arthur Boto Conley’s
Music Workshop mit der Veröffentlichung von drei großartigen
Stücken des ominösen Musikers Clifford Trunk auf dem Label Travel
By Goods, dessen vierte und vorliegende Veröffentlichung auf 333
Exemplare schneeweißer 12“es limitiert ist. Laut beiliegender
Geschichtsverortung sind alle drei Titel einem unveröffentlichten
Demotape ebenjenes in Deutschland geborenen Amerikaners entnommen,
übergeben an Mr. Conley nach einer zufälligen Unterhaltung im
Ratinger Hof der späten 80er. Mythenbildung? Oder gar doch ein
futuristisches Genie? Der Techno- / House-Ansatz jener Stücke ist
zumindest erstaunlich smooth, wunderschön arrangiert und im Falle
des „551 (Dub)“ sehr nahe an SpeedGarage ohne cheesy Samples,
während „418“ (Neo)Trance und „940“ säurehaltigen und
extrem zurückgenommen ArmchairTechno Warp’scher Prägung in
Reinkultur vorwegnehmen. Groß.
Eine weitere Verschiebung, diesmal der
Hörgewohnheiten, steht den Fans des InFine-Labels mit dem Signing
des Bassmusik-Duos Downliners Sekt bevor, die mit ihrer Single „Trim
/ Tab“ nicht nur ihr für 2013 geplantes Album ankündigen sondern
dem Label Tür und Tor ins sogenannte „’ardcore continuum“
öffnen, beackern sie hier doch das Feld zwischen melancholischem
Future Garage und verrauschtem, auf dem Prinzip des Antigroove
aufgebautem Digital R’n’B, wobei natürlich auch der
PostRave-Ansatz früher Burial-Werke nicht zu kurz kommt. Deep shit.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 10/2012
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