Mittwoch, 29. April 2020

THERE’s MORE TO LIFE THAN...

...money - „...nicht, weil Geld glücklich macht sondern alles einfach, an jedem neuen Scheißtag an dem Du keins hast...“ um an dieser Stelle noch einmal Ferris MC’s Klassiker „Im Zeichen Des Freaks“ zu zitieren, sondern weil es dieser Tage immer mehr Platten gibt, bei denen sich die Labels und Produzenten um einen gewissen Mehrwert bemühen. Sei es in Form eines exquisiten Artworks oder spezieller Beilagen, besonderer Veröffentlichungsformen oder ähnlichem – vom Sammler geschätzt aber manchmal auch vom Normalkonsumenten verflucht, weil sich dieses Extra-Bit auch immer wieder im Verkaufspreis niederschlägt. Aber Geld muss im Umlauf bleiben, auch in Zeiten der Krise und deshalb: immer raus damit.

Zum Beispiel für die neue Veröffentlichung des hier schon vor Monaten erwähnten Labels Shhhh Records, die mit der „Odenwald EP“ von Ghosts In Disguise alle Freunde des tendenziell nett-verträumten MinimalHouse pleasen, dabei niemandem wehtun und auf der beigelegten 6-Track Bonus-CD noch einmal drei Non-Vinyl-Mixes on top servieren. Mit im Remix-Boot unter anderem Robert Edwin a.k.a. Robert Feuchtl a.k.a. Bob Humid, Matthias Schaffhäuser und Labelhead Turgut Kocer a.k.a. Bluff.

An dieser Stelle kürzlich schon einmal erwähnt schlägt auch das aktuelle – und darüber hinaus grossartige – Album „Clay Class“ der PostPunk/Indie-Formation Prinzhorn Dance School in die Kerbe der als durchaus „pricey“ einzuordnenden Veröffentlichungen dieser Tage und bei allem Support und gutem Willen stellt sich hier die Frage, wie denn ein Ladenverkaufspreis von 30+ € für eine einfache LP mit elf Tracks zu rechtfertigen ist? Liebe Menschen von DFA / Cooperative Music das ist eine grobe Frechheit und da hilft auch die mittlerweile Standard gewordene CD-Beilage nicht viel, denn wenn der HAB (Händlerabgabepreis) schon fast den Ladenpreis eines normalen Albums erreicht, ist es klar, das die Verkaufs- und vor allem Preorderzahlen in den Keller rutschen, keiner das Werk wahrnimmt und entsprechend, wie in Hamburg gesehen, auch die Konzerttour nicht läuft. So verbrennt mensch Potential und das haben Prinzhorn Dance School wahrlich nicht verdient.

Neues gibt es auch aus dem Hamburger Hause HFN Music zu vermelden, denn auch wenn sich das angekündigte Album der verrückt gewordenen Reptile Youth in Richtung Frühherbst verschiebt gibt es jetzt erstmal die neue Single „Black Swan Born White“ in zwei Varianten. Die Indie-Fraktion wird auf 7“ mit dem ohrwurmzüchtenden Original und einem leicht treibenderen Remix der Londoner No Wave-Band S.C.U.M. bedient, während sich die elektronisch-affinenen Tänzer auf 12“ Clubversionen von Terranova und Mark E freuen dürfen. Doch Remixe hin oder her – das Original ist ungeschlagen und daher von meiner Seite aus nicht nur des Formates wegen der Erwerb der 7“-Single schwerstens empfohlen.

Ebenfalls spannend und gleich in mehreren Teilen besorgt es unser aller Lieblingsisländerin Björk Gudmundsdottir der vinylkaufenden Zunft mit der jüngst veröffentlichten 12“ Remix-Serie zu ihrem aktuellen Album „Biophilia“, aus der vor allem Teil 1 mit brutalstmöglich komprimierten Drum- / Dubstep-Remixen von „Crystalline“ und „Solstice“ hervorsticht. Beide hochverdichtet und auf technische Effizienz getrimmt vom Berliner Produzenten Current Value, dessen extrem präzise Soundästhetik schon seit dem Beginn seiner Karriere ihresgleichen sucht. Heftig.

Freunde gepflegt-mystischer Bassmusik hingegen erfreuen sich dieser Tage am neuen und in vielfachen Varianten erhältlichen Werk des MythStep-Gottvaters Sam Shackleton – „Music For The Quiet Hours / The Drawbar Organ EPs“ auf seinem Label Woe To The Septic Heart! Erschien jüngst als limitierte 3x12“ + CD Box, wahlweise auch als Doppel-CD Box oder jeweils separiert in 3 einzelne Maxis und CD-Album. Viel Auswahl für den passionierten Sammler und auch musikalisch natürlich wieder ganz weit vorne, spielt Shackleton mit seinen tribalistischen, schwer rituellen Soundentwürfen schon seit Anbeginn seiner Produzentenkarriere in einer ganz eigenen unerreichten Liga. Must have.

Jene Bassmusik haben scheinbar auch meine Freunde aus der Frittenbude zumindest im Ansatz ordentlich inhaliert, denn auf deren aktuellem Album „Delfinarium“ finden sich neben den üblichen Partybangern und Ausflügen in die komplexe Intimität der Melancholie auch Einflüsse von Drum’n’Bass und Dubstep. Die Vinylausgabe gibt’s im schicken Gatefold-Cover als Doppel-LP und mit 50/50-Chance auf eine farbige Pressung. Das erwachsenste Album der Band bisher und der Einstieg auf Platz 14 der Albumcharts wohl verdient. Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle noch einmal – sowohl an die Band als auch an die Partystrategen aus dem Audiolith-Büro.

Ebenfalls in die Kategorie „must have“ einzuordnen, wenngleich auch wesentlich schwieriger zu erwerben und daher „a record to hunt down“ für die Fraktion der Jäger und Sammler unter uns ist das selbstveröffentlichte Doppelalbum „Pieces Of Conversation“ des kryptisch benannten Projektes [aniYo kore] mit der Matrizennummer BOBHARRIS001 und der klaren Mission melancholisch vokal-orientierten TripHop unter Zuhilfenahme von reduzierten Beatstrukturen, leicht verstimmten PostRock-Gitarren, diversen Sample- / FieldRecording-Spielereien und dem Echo von Illbient zu retten. Ziel erreicht, auf Platte zumindest, die der versierte Sammler am ehesten wohl auf einer der diversen [aniYo kore] Live-Shows in die hoffentlich fettfreien Finger bekommt. Gut, das.

Eine weitere liebevoll aufgemachte Entdeckung, die ich den regelmässigen Besuchen der Hamburger Lokalität Meine Kleinraumdisko verdanke, ist die schon in 2011 auf Light In The Attic Records erschienene Gatefold-Doppel-LP „Beautiful Rivers And Mountains: The Psychedelic Rock Sound Of South Korea’s Shin Joong Hyun 1958 – 1974“, die nicht nur mit ausführlichen Linernotes und beigelegtem Interview die Geschichte eines aussergewöhnlichen Komponisten, Musikers und Produzenten nachzeichnet sondern zudem das Ohr neu für eben Psychedelic Rock, hippie’esk verschwebte Blues-Variationen und zuweilen auch nach Easy Listening oder Novelty klingende Songs neu öffnet, zumal diese mit koreanischen Texten eine ganz eigene ungewöhnliche und exotische Spannung entwickeln. Zwar komplett unelektronisch, hat aber einen Platz in jeder gutsortierten Plattensammlung verdient.

Die jedoch aufwendigste Albumverpackung des Monats und den abgeschossenen Vogel für Hyperlimitierung liefert – wen wundert das jetzt ? – natürlich wieder Sascha Müller, der sein Album „Error 404“ als 3“ DVDr mit 14 .wav-files veröffentlicht und statt in ein Minicover zu stecken lieber gleich in einem ausgemusterten Laufwerk stossfest verschraubt. Echte Handarbeit, Vollmetall und in einer DIY-Auflage von 9 Exemplaren weltweit erschienen. Sammlerstück für Freunde von Clicks’n’Cuts, Experimental Ambient und elektronischer Deep Listening Music jeglicher Couleur – die Suche danach lohnt. Sehr.

Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 07/2012

Samstag, 18. April 2020

THERE’s MORE TO LIFE THAN...


...love. Das dem nicht so ist erfährt der Autor dieser Zeilen an jedem Tag wieder schmerzlich im Kampf um die Liebe, die Frau seines Lebens und aus genau diesem Grunde geht es in diesem Monate um eben jene – um die Liebe. Um Songs und Bands, die die Seele streicheln, die Verzweiflung kompensieren oder auch... whatever.

Angefangen mit dem in Deutschland immer noch unterschätzten DFA-signing Prinzhorn Dance School, deren Show im März in Hamburg leider grandios unterbesucht war, was aber glücklicherweise weder der Grossartigkeit noch dem Energielevel ihres ultraminimalen PostPunk-Entwurfes Abbruch tat. Die Songs aus dem aktuellen Album „Clay Class“ liessen Grosses vermuten und es bleibt zu hoffen, dass die deutsche Fangemeinde endlich einmal aufwacht. Musikalisch dunkel, aber zumindest mit der Hoffnung spendenden Zeile „When nothing matters... all is well“ versehen ist der jüngst erschienene Longplayer „Sisyphus“ der Wave-/Goth-Legenden No More. Legenden? Kennt keiner? Zumindest die ältere Generation der FAZE-Leser hat sich in den Spätneunzigern zur Hell’schen Interpretation von „Suicide Commando“ die Füsse wund getanzt, auch wenn schon damals das Wissen um die 1981-er Originalversion aus der Feder von – genau! – No More der breiten Masse von Ravern nicht eigen war. Also: anhören.

Ebenfalls gezeichnet von Verlangen und Verzweiflung ist die neue 7“ des Herrn Trentemöller auf seinem eigenen Label In My Room – wieder in Zusammenarbeit mit der Vokalistin Marie Fisker serviert der wohl bekannteste Däne der Welt eine Neubearbeitung des 1984-er PostPunk-Underground-Hits „My Dreams“ von The Gun Club: auf der A-Seite dunkel dräuend und hypnotisch, während die Akustikversion auf der B-Seite schon fast ein Gefühl von Lagerfeuer verbreitet ohne dabei wirklich harmlos zu sein. Als – leider nur – Digitalbonus obendrauf gibt’s eine Neubearbeitung von Chris Isaak’s Überhit „Blue Hotel“, der Sehnsüchte weckt... nicht nur nach einer Vinylversion!

Und noch eine weitere Neubearbeitung eines Klassikers gibt es zu vermelden, denn die in Wiesbaden beheimatete Formation Naon wagt sich gleich mit dem Opener ihrer aktuellen 5-Track EP „Working Title“ and den Eurhythmics-Evergreen „Sweet Dreams (Are Made Of This)“, verleiht ihm einen neuen Anstrich zwischen Synthie- und FuturePop und verbrät dabei alle Effekte, die vor allem letzteres Genre hergibt. Könnte ebenso wie die anderen Tracks dieser EP durchaus in die Heavy Rotation-Listen lokaler Grossraum-Gothic-Parties wandern, ist allerdings für echtes Airplay stellenweise doch ein wenig zu dick aufgetragen. Trotzdem einen Check wert.

Ebenso gilt dies auch für das schönste Liebeslied des vergangenen Monats mit dem bezeichnenden Titel „In Love“, gesungen und geschrieben von der unglaublich bezaubernden Ira Atari und zu finden auf „Audiolith – Doin’ Our Thing #2“, dem exklusiven Vinylbeitrag des Hamburger Labels zum Record Store Day 2012, der mit Bratze’s „Strafplanet“ und dem legendären „Tote Tiere“ von Supershirt & Captain Capa noch mindestens 2 dicke Hits zusätzlich enthält.

Eine andere und durchaus besondere Liebesgeschichte versteckt sich hinter dem Song „Giver“, zu finden auf dem grossartigen Debutalbum „Not Now“ der Hamburger Band Clara Bow. Ursprünglich von ihrem schwedischen Ex-Partner Johan Eckerström im Rahmen der Trennungsbewältigung von Frontfrau Katrin Hesse geschrieben, coverte sie diesen mit Clara Bow, zunächst jedoch ohne das Wissen darum das sie selbst Thema des Selben ist. Nichtsdestotrotz findet sich „Giver“ nun auf dem Album und füllt, ebenso wie die nur beispielhaft genannten Songs „Paul Rulz“, „Restart“ oder „You Got It“ alle Tanzflächen zwischen Indie und GaragenPunk-beinflusstem Rock’n’Roll – selten so viele Ohrwürmer innerhalb von knapp 35 Minuten Laufzeit gehört und schon deshalb Pflichtkauf für alle, die ein offenes Ohr für Gitarrenmusik mit dem Herz am rechten Fleck haben. Besser sind Clara Bow nur noch live und laut Gerüchteküche (...oder besser: den Informationen bei gemeinsamen Spätstück in der u.a. von Hannes Langner betriebenen Bar-/Cafe-Location „Die Gesellschaft“ zufolge) steht im Frühherbst eine Tour zum Album an. Watch out! Watch out gilt auch für den dort servierten Apple Pie und extrem leckere Ciabatta-Sandwiches in diversen Variationen. Beim nächsten Hamburg-Besuch austesten und dann direkt im Anschluss das Clara Bow-Album im weniger als 5 Gehminuten entfernten Plattenladen Otaku Records käuflich erwerben.

Für frisch und unschuldig Verliebte servieren I Heart Sharks ihre Single „Summer“ mit dem fast noch faszinierenderen Bonustrack „Aerobics“ - mein persönlicher Favorit dieser Veröffentlichung. Kennengelernt haben sich I Heart Sharks der Legende nach übrigens im Berghain und liessen ihren Happy-Go-Lucky-IndiePop standesgemäss zusätzlich von Brazed, Etnik und den Audiolith-Wonderboys Captain Capa durch den Wolf drehen. Meine liebste Neuentdeckung der letzten Wochen jedoch ist die 7“-Single „I Heard You Say“ der Vivian Girls, veröffentlicht zwar schon zum Recordstore Day 2011, aber mit ihrem leicht verquer-hippieskem, leicht vernebelt-unschuldigem Mädchengesang immer noch Balsam fürs gebeutelte Herz. Entdeckt habe ich die Band übrigens in der Bar Meine Kleinraumdisko, einer meiner Hamburger Lieblings-HangOuts für unter der Woche, und genau diesem Ort verdanke ich auch meine entfachte Liebe zum Dillon-Album „This Silence Kills“ auf BPitch Control – irgendwo zwischen Elektronik, Björk und süsser Unschuld. IndiePop 2012 und vor allem „Tip Tapping“ ist ein grosser Hit. Wichtige Platte. Kaufen!


Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 06/2012

Donnerstag, 9. April 2020

THERE’s MORE TO LIFE THAN...

...bass. Diese Aussage schimmerte blitzte kürzlich in einem Interview auf, welches der hochgeschätzte Rhythmus- und Klangforscher Bernd Friedmann in einem ebenfalls der elektronischen Musik verschriebenen Magazin gab. Eine Aussage, die per se natürlich für seine eigenen, oft von aussereuropäischen Musiken beeinflussten Soundreisen durchaus Gültigkeit hat, ganz bestimmt aber nicht für inselbritisch geprägte Clubmusik, um die es in diesem Monat in dieser Kolumne vorwiegend gehen soll.

Allen voran schreitet hier in der letzten Zeit vor allem Paul „Seiji“ Dolby, der den älteren Breakbeat-Adepten unter uns noch mit seinen Releases auf Labels wie Reinforced, 2000 Black oder Bitasweet in süsser Erinnerung ist, in den letzten Monaten mit insgesamt drei hochklassigen 12“es auf seinem eigenen Impringt SEIJI in Erscheinung trat und ausserdem einen Remix zu Joe Goddard's „Gabriel“ auf dem Hot Chip-Label Greco-Roman beisteuerte, wie gewohnt zwischen Future Garage, UK Funky und SpeedGarage balancierend. Ebenfalls mit einem synkopisch-swingenden Future Garage Remix für Joe Goddard am Start: Ossie, dessen Bearbeitung eigentlich zu Unrecht auf dem undankbaren B2-Platz der Vinylmaxi gelandet ist. Mehr Swing kommt dieser Tage auch von Till Von Sein, der mit seinem „4,5 Minutes In Essex 1992 Jam“ für Kasper Björke's „Lose Yourself To Jenny“ die Breakbeat-Raver ins HFN Music Boot holt, und von Mike Delinquent Project, der mit einem Remix von Yasmins „Finish Line“ nicht nur die Sonne rein-, sondern vor allem dem klassischen 2Step-/UK Garage-Sound wieder rauslässt. Letztere erschienen via Ministry Of Sound und sehr schön.

Das Melancholie und Bass gut zusammengeht beweist SBTRKT mit einem Whitelabel und der Matrizennummer YT075 ohne weitere Infos, auch hier ist SpeedGarage das Stichwort, während auf Cluekids hauseigenem Label Bullfrog Beats mit der Katalognummer 006 die Hypnosewirkung von dunkel-dräuendem Halftime Dubstep („Swampman“) und das Hochenergiepotential von klassischem Oldskool Jungle („Ninety Three“) ausgelotet werden. Gerade für letzteres gibt’s mindestens mehr als einen Bonuspunkt. R-E-W-I-N-D !!!

Zu guter Letzt entwickelt sich das Eintreffen hochlimitierter Sascha Müller-Veröffentlichungen kurz nach Abgabeschluss mittlerweile zum Running Gag und so erreichte mich wieder verspätet die zweite Ausgabe der „Recycled Tapes“-Serie. C90-Cassette, limitiert auf 15 Stück weltweit und diesmal im Split mit Pasquale Maassen auf der Suche nach dem Spirit der französischen DarkJungle-Szene der Endneunziger. Inhalt: insgesamt 16 Tracks roher, ungeschliffener Drum’n’Bass, DarkJungle und experimenteller Breakbeat fernab der hochzüchteten UK-Klangästhetik, Sammlerstück. Ausserdem neu, krank und limitiert aus der Müller’schen Soundschmiede: „Shit Music“ - eine CDr-Orgie in experimentellem Noize ganz im Sinne früher V/Vm-Veröffentlichungen mit einer Auflage von 20 Exemplaren und präsentiert in für nicht ganz hartgesottene Gemüter schwer verdaulichem Artwork, auch wenn es sich um Erdnussbutter und nicht das namentlich nahe liegende Enddarmprodukt handelt. Ist das jetzt Industrial oder Punk... rein von der Attitude her?


Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 05/2012