ElectroSwing, GypsyJazz und der von mir
gern spasshaft so geschimpfte Zigeunertechno gelten vielerorts als
Sound der Stunde, bescheren Veranstaltern volle Häuser und liessen
auch das Erstlingswerk der Formation Caravan Palace laut Presseinfo
mehr als 150.000 Mal über den Ladentisch wandern. Ein Erfolg, der in
ähnlicher Weise wohl auch dem jüngst veröffentlichten Nachfolger
„Panic“ blühen könnte, kombiniert er doch anfangs genannte
Elemente mit klassischem und hochgepitchtem Swing und trifft damit
den sogenannten Nerv der Zeit. Ebendieser geht dem Rezensenten aber
nach spätestens 2 Songs ganz gehörig auf den Sack, sorgt in seiner
comichaften Überdrehtheit für gewaltig schlechte Laune und das
Bedürfnis als Gegenmittel hintereinander mindestens zwei LPs von
Merzbow oder V/Vm zu hören – bei maximaler Lautstärke. Falscher
Ansprechpartner, daher kein Recall. Furchtbare Musik.
0/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 05/2012
Sonntag, 27. Dezember 2020
Dienstag, 22. Dezember 2020
Mittekill - All Bored, Weak And Old [Staatsakt.]
Lieb meets lo-fi. Semi-elektronischer
Befindlichkeitsindie mit Verständnis für Sehnsucht, Herzschmerz,
Songwritertum und die grosse Gefühlsduselei nach der Pille zu
viel. Ketaminblues für genau den Moment wenn beim ersten Aufstehen
nach drei Tagen wach Musik zwar muss, aber die gerade Bassdrum eben
doch noch nicht so richtig wieder geht. Und beim Blick auf die Uhr
des antiken iBooks des übermüdeten Schreiberlings entwickelt sich
ein Titel wie „Jtzt wrd gfckt“ sogar zum 01:30 a.m.-Minihit. Ob
das ausgeschlafen auch geht? Der Zweifel nagt bei Songs wie „Jobs“
und „Baby Rok“. Dem Zustand geschuldet und jede Verantwortung
ablehnend vergebe ich trotzdem...
7/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 05/2012
7/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 05/2012
Dienstag, 15. Dezember 2020
DAT Politics - Blitz Gazer [Sub Rosa 342]
Let’s party like it’s 1999. Passt
irgendwie, denn seit eben diesem Jahr rocken DAT Politics mit ihrer
8bit-infizierten, zuweilen auch hypernervösen Interpretation von
Synth- und RoboterPop die Tanzflächen und vor allem Live-Bühnen
dieser Welt. Nun holen sie mit ihrem neuen Album „Blitz Gazer“
zum erneuten Rundumschlag aus, gewohnt verortet zwischen Trash und
Catchiness und gefangen in einer ewigen Zeitschleife zwischen
Micromusic, Bodenständig 2000, dem frühen Jeans Team und einer
nahezu Plemo’esquen Vorliebe für zuckersüssen Kitsch. Auch
geeignet für Fans von kontemporären Bands wie Bondage Fairies und
wäre 1999 nicht schon so lange her sogar beinahe grossartig.
Charming, aber nach 13 Jahren Konsequenz leicht angestaubt klingend
verdienen sich DAT Politics mit „Blitz Gazer“ trotzdem noch gute
8/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 05/2012
8/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 05/2012
Mittwoch, 9. Dezember 2020
SCSI-9 - Metamorphosis [Klik Records]
Die russischen SCSI-9 veröffentlichen
ihren fünften Longplayer nun also auf dem griechischen Label Klik
Records und lassen schon mit dem ersten Track des Albums –
passenderweise „Intronome“ benannt – die Ohren des Rezensenten
weit aufgehen, lassen sich doch Parallelen zu legendären
Veröffentlichungen wie der „Showroom Recording Series #01“ auf
dem Wiener Label Cheap Records oder der ersten „Future Sound Of
Jazz“-Compilation bei diesem Stück angedubbtem Future Jazz nicht
verleugnen. Ab dem zweiten Track übernimmt dann doch wieder – im
ersten Moment ist der Gebrauch des Wörtchens „leider“ fast
naheliegend – die gerade Bassdrum, auf deren Basis das Duo jedoch
anmutig frostig-filigrane Flächenkonstrukte oder warm angedubbte
House-Ästhetiken schichtet, die nach dem Genuss von „Metamorphosis“
im heimischen Ohrensessel den Griff zur Repeat-Taste fast zur
automatischen Bewegung werden lässt. Durchaus angenehm.
7/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012
7/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012
Donnerstag, 3. Dezember 2020
Addison Groove - Transistor Rhythm [50 Weapons]
Das lang überfällige Electro- und
GhettoBass-Revival ist in vollem Gange und einer der Schuldigen ist
Addison Groove, der mit seinem Tune „Footcrab“ quasi aus dem
nichts eine neue Welle der Begeisterung für ebenjene Musiken
auslöste. Auch wenn die Kids und Hipster heute aus welchem Gründen
auch immer Juke oder Dubstep schreien, der alte Gärtner kennt seine
Kräuter und weiss noch immer ganz genau welche Pflänzchen dieser
musikalischen Mischung die besondere Würze verleihen. Dreckige
Vocals, dicke 808-Drums und ein gehöriger Schuss Unformatted Breaks
/ South London Bass im Sinne von Acts wie Neil Landstrumm, Michael
Forshaw oder alter SMB- / Deadsilence-Releases gehören sicherlich
dazu. Und eine gesunde Härte, damit es nicht nur im Club sondern
auch auf illegalen Warehouse-Raves ordentlich knallt. Das tut es. Am
liebsten in grossen Industriehallen damit sich der Bass auch richtig
entfaltet und die morschen Fenster ordentlich scheppern.
8/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012
8/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012
Mittwoch, 25. November 2020
Den Ishu - High U Gonna Feel [Supernature 022]
DeepHouse. Filter. Funk-Lick. Vocal.
Und das Ganze dann gedehnt auf 8 Minuten und n büschen, wie mensch
in Hamburg zu sagen pflegt. Schön. Auch, weil in der Form und
Konsequenz lange nicht gehört. Wäre bei mir vor 10 Jahren
wahrscheinlich gnadenlos durchgefallen aus den anfangs genannten
Gründen, kassiert jetzt aber wegen einsetzender Altersmilde und
einer immer stärker werdenden Sehnsucht nach kleinen, intimen,
rotplüschigen Clubs mit eigenständigem Booking, eingespielten
Residents und ohne Fremdveranstalter im Boot zusätzliche
Sympathiepunkte. Ausserdem stehen auf Grund meines recht
angeschlagenen Seelenzustandes traurig-verhallte Moll-Pianos –
Atavism-Remix! – hoch im Kurs, ebenso wie sehnsuchtsvoller
EmoHouse. Mag ich.
9/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012
9/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012
Mittwoch, 18. November 2020
Sean Roman - The Moan EP [Fest Records 001]
Erst die Parties, dann das Label.
Interessantes Konzept, das die übliche Reihenfolge gnadenlos umdreht
und jetzt mit Sean Roman's „Moan EP“ die erste Katalognummer auf
die Welt loslässt. Dahingestellt sei jetzt einmal, ob die Welt
jetzt wirklich noch eine Platte mit harmlos-melodischem, aber
durchaus solide vor sich hin groovendem TechHouse braucht,
zweifelsohne erfüllen aber sowohl „Moan“ als auch „Bocuse“
die Mindestansprüche für ebensolchen und halten die Meute auf der
Tanzfläche – sowohl im Club als auch auf diversen sommerlichen
OpenAirs in Mecklenburg-Vorpommern oder wo auch immer. Gleiches gilt
auch für die Remixes von M A N I K – wer denkt sich eigentlich in
Zeiten von Google freiwillig so eine Schreibweise aus, ausser
heroinabhängigen WitchHouse- und ChillWave-Projekten? – und
Waifs & Stray, denen zwar die Funktionalität gut zu Gesicht
steht, aber von Rezensentenseite doch die Forderung nach „Mehr
Mut!“ auslösen. Gute Ausführung, aber eben auch nicht zwingend
mehr.
6/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012
6/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012
Mittwoch, 11. November 2020
Reptile Youth - Speeddance [HFN Music 013]
Wenn eine Band ohne eine einzige
Veröffentlichung im Gepäck Europa und Asien betourt, Clubs in
chaotisch-energiegeladene Moshpits verwandelt und dabei Fans
einsammelt wie ein für den Winterschlaf hamsterndes Eichhörnchen
gibt es im Regelfall nur zwei konträre Erklärungen – total
überbewerteter Hype oder aber echtes Potential. Im Falle der Reptile
Youth trifft glücklicherweise letzteres zu und deshalb ist
„Speeddance“ mit seiner Fuck-Noise-Disco-Attitude,
dreckig-verschwitztem Basslauf und den „wir können gar nicht
anders als mitbrüllen“ Vocals der heisseste Anwärter für die
IndieElectroGrunge-Hymne des kommenden Sommers, wenn nicht des ganzen
noch recht jungen Jahres. Von IndieKid bis zum RavePunk kann sich
jeder auf „Speeddance“ einigen, ohne dass die verrückt gewordenen
Dänen auch nur den Hauch eines Kompromisses eingehen müssen.
Stattdessen wird mit dicken Eiern und grossem Selbstbewusstsein auf
der B-Seite der 7“ noch eine Coverversion von Deathcrush
nachgeliefert, die sich zwischen Homerecording-Ästhetik, Genialen
Dilletanten, einer aus dem Ruder gelaufenen Faust-Session, eimerweise
Noise und Oval’schem CD-Skippen bewegt. Die spinnen doch alle.
10/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012
10/10 Points
Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012
Sonntag, 1. November 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
...Weihnachten. Während der
Normalbürger sich zwischen Konsumrausch und Strassenkrieg zum
Jahresende den kleinen und grossen Dramen im Kreise der Familie und /
oder der Lieben widmet und der halbwegs musikinteressierte Mensch
sich wieder – und zu Recht – über die Ergebnisse ungezählter
Jahrespolls echauffiert, nutzt der Schreiber dieser Zeilen die
angeblich besinnliche Zeit, um noch einmal ein paar zu Unrecht
unterbewertete oder einfach übersehene Scheiben des letzten Jahres
Revue passieren zu lassen. Es folgt: kein Jahresrückblick.
Beginnen wir mit der schon im Juli auf
dem inselbritischen Label Peng Sound erschienenen „Gorgon Sound
E.P.“ des gleichnamigen Projektes, die dank kompliziert
verschachtelter Importumwege über Frankreich erst jüngst den Weg in
hiesige Plattenläden fand. In schwerem Karton-Gatefoldcover auf 180
Gramm-Vinyl bedient diese E.P. die Freunde des haptischen
Musikerlebnisses schon im Vorfeld des ersten Tons und entpuppt sich
mit ihren vier Tracks als wahres Brett in Sachen klassischer Dub /
DubHouse-Kultur. Mächtige, raumgreifende Analogbässe bilden das
Gerüst für fordernde 4/4 Beats sowie Dub-typische Offbeat-Chords
und Rimshots, zu denen auf zwei Tunes Junior Dread und Guy Calhoun
verhallende Vocals beisteuern. Ansonsten regiert die Tiefe des
Hallraums über die Reduktion auf absolut essentielle Elemente und
genau darin besteht die grosse Kunst der originären Dubkultur, was
diese 2x12“ zur absolut unausweichlichen Anschaffung macht.
Weiter geht es mit „Y“, dem zweiten
und wieder in kompletter Eigenregie veröffentlichten Doppelalbum des
deutschen Duos [aniYo kore], welches auch mit seinem neuen Werk der
Errettung und Wiederbelebung des vocallastigen TripHop /
Downtempo-Genres einen weiteren, riesigen Schritt näher kommt.
Musikalisch der dunklen, gern auch am Schmerz des Lebens tief
leidenden Moll-Tonlage auf skelettiertem Beatgerüst zugetan, öffnet
sich das Soundspektrum der Band auf diesem Album weg vom
Illbient-Ansatz hin zum, teils intim folkigen, Gitarren- und
Basseinsatz und inkludiert partiell sogar Raps, ohne sich jedoch weit
vom bekannten Grundton des charakteristischen [aniYo kore]-Sound zu
entfernen. Nicht ausschliesslich, aber auch, empfohlen für Freunde
von Portishead, Nicolette & Co. und in einer Auflage von 300
Exemplaren nur direkt über die Band zu beziehen.
Doch auch in puncto
Wiederveröffentlichungen und Neuauflagen hielt das vergangene Jahr
mehr qualitativ hochwertige Tonträger bereit als schriftlich in der
ihnen gebührenden Länge diskutiert werden konnten. Beispielhaft für
diesen durchaus begrüssenswerten Trend sei an dieser Stelle das via
Mute / The Grey Area im November wieder zugänglich gemachte Cabaret
Voltaire-Album „Micro-Phonies“ genannt, welches – noch einmal
neu gemastert – nicht nur die nach wie vor zwingende Aktualität
der bereits in 1984 veröffentlichten LP auf der Schnittstelle
zwischen PostPunk-Elementen, Industrial-Resten, NuBeat und modernem
Electro / ProtoTechno noch einmal neu vor die Augen einer damals noch
ungeborenen Generation führt, sondern auch aus dem Fokus geratene
Underground-Hits wie „Digital Rasta“, „Blue Heat“, „Spies
In The Wires“ und das zu jener Zeit sogar gechartete „Sensoria“
hoffentlich wieder zurück auf die Tanzflächen der Welt bringt. Must
have, weil geschichtsträchtig.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 02/2014
Freitag, 23. Oktober 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
...Struktur. Denn gerade diese ist, wie
die jüngsten Erfahrungen mit dem „Ich wäre gern Orkan
geworden“-Wintersturm Xaver zeigen, in heutigen Gesellschaften auch
immer höchst anfällig für irrationale Störungen – besonders für
haus-, mensch- und mediengemachte. Früher war weniger Panik und in
diesem wohlmeinenden Sinne dürfen alle musikalischen
Strukturtraditionalisten bis zum letzten Teil dieser Kolumne getrost
auf Durchzug schalten.
Den Anfang machen die drei
Experimentalmusiker C. Spencer Yeh, Okkyung Lee und Lasse Marhaug mit
„Wake Up Awesome“ auf dem in Brooklyn, New York beheimateten
Label Software Recording Co. und liefern mit diesem Album ein
40-minütiges Manifest in Sachen Industrial Noize meets FreeJazz.
Mäandernd zwischen tatsächlicher Echtzeitimprovisation und
nachbearbeiteteten Studioaufnahmen erinnert „Wake Up Awesome“ in
kurzen Phasen an die verglitchten Variationen der legendären
„Ekkehard Ehlers plays Albert Ayler“-LP auf Staubgold, häufig
an hochdigitalen Lärm und hat in ruhigeren Passagen wie „Mission:
Nothing“ sogar rudimentär ambiente Züge, die natürlich umgehend
durch allerhand mahlende Distortion und lavaartig gewitternde White
Noise-Ausbrüche ad absurdum geführt werden. Heftiger Stoff für
klirrend kalte Winternächte.
Gesitteter, wenn auch nicht weniger
fern der Traditionsstrukur geht es auf den beiden aktuellen 3“
CD-Veröffentlichungen des Electroton-Labels zu. Beide auf jeweils
100 Stück limitiert, serviert Marek Slipek a.k.a. Cernlab mit seinem
Viertracker „Atomherz“ als Katalognummer 014 des Labels
hochgradig digitalisierten ElectroPhonk mit klar definierten
Spielereien im Stereofeld, die auch fortgeschrittene Dancefloorcrowds
dank ihrer sci-fi'esquen Bedrohlichkeit und zuweilen schizophren
wirkender Klänge in den wohlverdienten Wahnsinn zu treiben
verstehen, während ujif_notfound mit „Aneuch“ in drei Versionen
dem zu Unrecht aus dem musikalischen Fokus dieser Zeit gerückten
Clicks'n'Cuts-Genre zu neuer Aufmerksamkeit verhilft. Dabei
fusioniert er in Perfektion die präzisen Kleinstgeräusche digitaler
Kommunikation und klickernder Festplatten mit fliessend weichem
Ambient, der in dieser ausgereiften Form leider viel zu selten den
Weg auf physische Tonträger findet – erst echt nicht auf so
ansprechend minimalistisch geboxte, wie sie bei Electroton zum
ästhetischen Standard gehören.
Nach diesem kurzen Ausflug ins Land der
musikalischen Experimente und der aktuellen CD-Veröffentlichungen
auf diesem Gebiet, geht es mit dem Re-Release des Monats nicht nur
zurück zum schwarzen Vinylgold sondern auch ins Ethiopien der
1970er-Jahre, in dem Alemayehu Eshete sich als eine der grossen
Stimmen einer blühenden Jazz, Funk und Soul-Szene hervortat. Schon
in 2007 versammelte das Label L'Arome Productions zehn seiner in
Zusammenarbeit mit Girma Beyene oder Lemma Demmissew enstandenen
Songs unter dem Titel „Ethiopian Urban Modern Music Vol.2“ im
Rahmen der „Ethiopiques“-Serie, die nun dankenswerterweise wieder
auf Vinyl erhältlich ist und nicht nur exzessiven Cratediggern und
Samplefreaks einen faszinierenden Einblick in die Musik eines
lebendigen Nordafrika jener Jahre ermöglicht. Uneingeschränkt
empfohlen für einen Ausflug in Gefilde weit jenseits der rein
elektronischen Musik, die unsereins nahezu täglich umgibt.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 01/2014
Sonntag, 11. Oktober 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
...Winterwahn. Auch wenn die dunkle
Jahreszeit absehbar nachhaltige Veränderungen mit sich bringt,
glänzt das letzte frühlingshafte Aufbäumen des Jahres zum
Entstehungszeitpunkt dieser Zeilen noch einmal durch einen
abwechslungsreichen Strauß bunter Vinylblumen, die es mit dieser
Kolumne näher zu bestimmen gilt.
Angefangen mit dem italienischen Duo
Gianclaudio Hashem Moniri & Giuseppe Carlini a.k.a. Plaster, das
sich mit der Originalversion ihres Tracks „Circular Mechanism“
auf dem schwedischen Label SonouS dem Thema Ambient von seiner
deepen, verdubbt elektronischen Seite her nähert und einen wahren
Trip zwischen Deadbeat'scher Unterkühlung und der trippig
hypnotischen Wirkung zu Unrecht unterschätzter Klassiker aus der
Feder von Nommo Ogo oder Carlito Verde abliefert. Auf der Flipside
findet sich ein Remix von Substance, der sich voll und ganz dem
maximalstverzögerten SciFi-Dub widmet und sich dank seines
schleppenden Ungrooves auch im Illbient-Kontext als wirksamer
Lieferant innerer Unruhe und psychischer Unrast anbietet.
Das Gegenteil dieser Unrast findet sich
mit Race To Space's „Baikal“ auf der dritten Vinylausgabe des
russischen Imprints Ketama Records. Zwar findet sich auch hier ein
Hang zur ambientösen Trippigkeit, diese jedoch fusioniert mit
lieblichem Frauengesang und einem Downbeat (Not Downbeat)-Gefühl zu
einer durchaus hörangenehmen Angelegenheit, die veredelt durch
Remixer wie Benji Vaughan, Tripswitch und Electrosoul System nie die
musikalische Komfortzone verlässt, selbst wenn es - wie im
letztgenannten Remixfall – auch um Dancefloor-affine Beats mit
abstrahierte NuSkoolBreaks-Ausrichtung geht. Sehr schön.
Ebenfalls schön und auf sehr
erstaunliche Weise trotz ca. 50%iger Überschneidung zum Originalwerk
wesentlich tiefgehender und kohärenter präsentiert sich die jüngst
in limitierter Version auf schneeweissem Vinyl erschienene
Instrumentalversion des zu Recht hoch gelobten „Lost“-Albums aus
der Feder des dänischen Produzenten Anders Trentemøller, das in
dieser Form noch eine weitere. neue Perspektive auf seine
musikalischen Fähigkeiten eröffnet. Ein perfekter Soundtrack für
geisterhaft vernebelte Frühwintertage.
Ebenfalls in coloriertem Vinyl gepresst
ist die Laufnummer 022 des inselbritischen Drum'n'Bass-Labels Sinuous
Records, das mit dieser die beiden Tracks „Excavator“ und
„Complexity“ aus dem Studio des Produzenten Minor Rain direkt auf
die Tanzflächen katapultiert. Extrem aufgeräumtes Sounddesign
trifft im erstgenannten Tune auf messerscharfe Beats im Sinne des
„long black tunnel“ der Endneunziger Virus-Schule, die ihre
Faszination nicht nur aus der absolut technischen Versiertheit der
Produktion, sondern auch aus ihren unterkühlten, sci-fi-verliebten
und komplex verstolperten Percussion-Motiven schöpft, die sich mit
tödlicher Präzision um die Hauptelemente Bassdrum und Snare winden.
Auf der Flipside übernimmt dem Namen entsprechend eben genau jene
Komplexität in Form minimalistischer, sich nahezu ineinander
verschlingenden Beats die tragende Rolle und überführt das Erbe
früher Photek-, Hidden Agenda- und Source Direct-Produktionen in
minimalistischer Form in die Jetztzeit. Call it Complex Jungle?
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 12/2013
Donnerstag, 1. Oktober 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
…Monochromatismus. Wer den Verfasser
dieser Kolumne kennt, wird ihn aufgrund seiner selten gebrochenen
Vorliebe für vorwiegend schwarze bis maximal dunkelgraue Kleidung
umgehend Lügen strafen. Doch weil dieser Tage ein Herbst Einzug hält
in die Strassen dieses Landes und den Blätterwald der Alleen in ein
Potpourri der Farben verwandelt geht es auch in dieser Kolumne
zumindest stilistisch ein wenig bunter zu.
Angefangen mit der jüngst auf Poker
Flat Recordings erschienenen „Lectures E.P.“ des jungen
Niederländers Wouter De Moor, dem es nicht nur gelingt das erste
Interview-Acapella überhaupt auf einer 12“ des Labels
unterzubringen, sondern der auch die Worte des interviewten Theo
Parrish in nahezu perfekter Wildpitch-Emulation im titelgebenden
Track umsetzt. Geremixt wird dieser auf der Flipside von Kirk
Degiorgio während Wouter De Moor auf A2 mit seinem ebenfalls
grossartigen Oldskool-Cut „8 Voices“ noch einmal ein fettes
Original mit rohen Claps und scharfen Hi-Hats nachlegt. So geht
House.
Komplett gitarrenlastig geht es weiter
mit der achten Veröffentlichung der Major Label-Schwester
SuperKamiokandeDetektor, auf der mit „Jetzt Ist Es Kaputt“ eine
überaus bezaubernde EP der Formation Goldner Anker erscheint. Wie
gewohnt verortet zwischen unpoppigem Melodiengebrauch, rauher
IndiePunk-Credibility und fragil rauchiger Frauenstimme liefern
Goldner Anker hier drei kleine, aber feine Hits im Original – allen
voran das antikonsumistische „Ticket“ - und lassen darüber
hinaus den auf ihrem 2012 Debutalbum erschienen Song „Only You“
von Jkube durch den PostJungle vs. Dubstep-affinen Remixwolf drehen
ohne das dabei das Original der vollkommenen Fragmentierung
anheimfällt. Mission erfüllt.
Anderweitig organisch präsentiert sich
die vierköpfige Dark resp. Future Jazz-Formation Falling, die mit
dem aufwendig gestalteten „Original Motion Picture Soundtrack“
dieser Tage ihr auf 100 Exemplare limitiertes Debutalbum auf dem in
Mettmann beheimateten Label Shhhh Records vorlegt. Im weitesten Sinne
verortet zwischen Bugge Wesseltoft's New Conceptions Of Jazz-Ästhetik
und den Future Jazz-Variationen des klassischen, ehemals in Wien
beheimateten Showroom Recordings-Projektes emulieren Turgut Kocer,
Helge Neuhaus, Gabriel Masterson und Frederik Groborsch hier einen
waschechten Improv-Ansatz, ohne sich je zusammen in dieser
Konstellation an einem realen Ort befunden zu haben. Die Welt des
schnellen Datenverkehrs macht es möglich und schenkt uns mit
„Original Motion Picture Soundtrack“ einen entschleunigten Score
für vernebelte Herbstabende mit ernsthaften Drinks. Im Falle des
Verfasser dürfte die Wahl des letztgenannten hier zweifelsohne auf
einen Maple Old Fashioned fallen.
Zurück auf dem Dancefloor befinden wir
uns final mit der „Guy Martin EP“ des Max.Ernst-Gründers und
Studio-Veteranen Thomas Brinkmann a.k.a. Brinkmann in allerbester
Gesellschaft. Verortet zwischen tiefenhypnotischem ClubTechno mit
spannungsgeladener Crimescene-Atmosphäre und jazzigen Ambitionen,
Metal'esquen Schrammelbässen auf Viererfußbasis und an FutureJazz
orientierten Downtempo-Exkursionen liefert das Third Ear-Label mit
dieser 12“ nicht nur drei qualitativ hochwertige Tracks sondern
denkt mit dieser Zusammenstellung auch über gewohnte Genre- und
Schubladengrenzen hinaus und macht damit deutlich, daß es
letztendlich doch nur um eines geht: die Musik.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 11/2013
Samstag, 19. September 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
… reality. Nicht nur, weil das Leben
manchmal wie ein Film erscheint, in dem mensch zufällig auch selbst
eine Rolle spielt, sondern weil spätestens die Diskussion um PRISM,
Echelon und Tempora auch den weniger aufmerksamen Individuen unter
uns eine Ahnung davon vermittelt haben, daß es da draussen eine
Menge Dinge gibt von denen der Normalbürger nur kaum eine Ahnung hat
und auch wir – ohne verschwörungstheoretische Gedanken befeuern zu
wollen – zuweilen nur Statisten in einem Film sind, bei dem Andere
Regie führen. Aus diesem Grund geht es in dieser Kolumne um
Soundtracks resp. solche Veröffentlichungen, die eigentlich als
solche prädestiniert sind oder vorgeben, Soundtrack zu sein – wenn
auch in der Zukunft.
Eine ebensolche Veröffentlichung ist
„The Mean“, das auf dem Tapelabel Voluntary Whores erschienene
Album des Ambient- / Deep Listening-Projektes Wardrobe Memories.
Limitiert auf 48 Exemplare weltweit handelt es sich hier angeblich um
einen Soundtrack, der durch einen missglückten Zeitreiseunfall in
der Vergangenheit – dem heutigen JETZT also – gelandet ist und
mit seinen weltraumkalt-fliessenden Strukturen trotz weitgehender
Beatlosigkeit weit von purer Entspannungsmusik entfernt ist. Zu
befremdlich wirken die immer wieder aufblitzenden Sprachfetzen und
abgehörter Funkverkehr, zu kühl klingen die Pianos und zu
verstörend die durch den Verzerrer gejagten Synth- und
Gitarrensequenzen. Es liegt eine Spannung über diesem Tape, die zu
Beginn der B-Seite die Luft nahezu greifbar verdichtet. Was auch
immer das Thema dieses zukünftigen Films sein mag, es verkörpert
Bedrohung in einem Masse, deren Intensität das heute Vorstellbare
bei Weitem übersteigt.
Ebenfalls filmreferentiell ausgerichtet
ist das auf Alien Transistor erscheinende Album „Return“, welches
als drittes Album der Formation Saroos binnen knapp 38 Minuten
Spielzeit musikalische Bezüge zur unter Cineasten als Film Noir
geschätzten Spielart der Kinokunst liefert und sich weitläufig zwischen PostRock, Easy Listening, Dub, Downtempotronica,
Jazz und Experimentalismus mäandernd jeder weiteren Einordnung
vollends zu entziehen weiss, dafür aber durchaus auch psychedelische
Hippiemomente liefert. Damit entpuppt sich „Return“ als tolles
Frühherbstalbum für heimische Kaminabende und natürliche
Kaufempfehlung für alle, die eben solche zu schätzen wissen.
Einen Film der dunkleren Sorte lässt
sich hingegen zu „The Word As Power“ drehen, dem neuen, jüngst
auf dem kongenialen Label Blackest Ever Black erschienenen Album von
Brian Lustmord a.k.a. Lustmord, der hier mit vermittels seiner
ultraminimalistischen Drone- und Dark Ambient-Visionen und den
isolationistischen Vocals von Aina Skinnes Olsen und anderen einen
quasisakralen Soundtrack für dunkle Rituale in vernebelten
Herbstnächten schafft, der von zartbesaiteten Seelen als durchaus
geisterhaft unheimlich empfunden werden kann, dem Schreiber dieser
Zeilen jedoch eben aufgrund dieser Ausrichtung als tiefgehendstes
Album der letzten Monate gilt und genau aus diesem Grund jedem
geneigten Leser dieser Zeilen schwer empfohlen sei.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 10/2013
Freitag, 11. September 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
…der Trend zum Digitalen. Denn auch
wenn Spotify und sogar Youtube mittlerweile nicht nur auf
Konsumentenseite immer mehr als ernstzunehmende Quelle für den
täglichen Musikkonsum gelten und selbst Bruchteile von
Minimalsthartgeldbeträgen labelseitig als mögliche Einnahme
verbucht werden, kann auch das hochaufgelösteste .mp3-, .wav-, .ogg,
.flac oder .whatever-File bestimmte Effekte der analogen Welt nicht
ersetzen. Zum Glück.
So lässt sich beispielweise weder das
der neuesten Veröffentlichung des österreichischen Labels Hirntrust
Grind Media beiliegende (und natürlich ans Cover angelehnte)
Aufnäh-Patch noch der ebenfalls in der Hülle befindliche
ArtCard-Druck in seiner Stofflichkeit digitaliseren und auch die
gefühlte Underground-Zuordnung einer pechschwarz belabelten 7“ mit
grossem Innenloch ist nicht in Datenraten zu messen. Musikalisch
liefern die Protagonisten dieser Splitsingle natürlich dem Label
gerecht werdende Kaputtheit der allerersten Kategorie – Kenny
Sanderson a.k.a. Facial Mess erforscht mit „No Intrinsic Value“
fies industriell verzerrte Varianten von mutiertem Grindstep während
J. Randall als Sealteam 666 ein wahres Feuerwerk aus Noize,
verzerrten Gitarren und flaksalvengleichen Breakcore- / Rhythm
Industrial-Strukturen auf den freudig lächelnden Rezensenten
abschiesst. Für mehr sonische Gewalt im Club!
Ein weiteres nicht zu unterschätzendes
Erlebnis vorwiegend analoger Freude ohne Vorwarnung stellte das
Eintreffen des mysteriösen Tape-Triplets „Virgin“ / „Seams /
„Dierows“ aus der vermutlichen Feder von Christine Nogociella
dar. Versehen mit einer Warnung des „Department Of Defense /
Defense Investigative Service“ und ohne Absender- oder Labelangabe
wird hier über gefühlte drei Stunden hinweg mit langsam flutenden
Ambient-/Drone-Exkursionen, vermutlich illegal abgehörtem
Radioverkehr und befremdlich weltraumkalten Klangpassagen die
Zeitmatrix völlig ausser Kraft gesetzt und der geneigte Konsument
schon nach wenigen Augenblicken in eine dunkle, vollkommen
fremdartige Welt versetzt, in der sich Melancholie, Trauer und das
Gefühl totaler Einsamkeit Auge in Auge gegenüberstehen. Verbreitete
mensch diese Tapes als Dauerschleife über die grossen Radiokanäle
dieses Planeten, wäre die Welt vermutlich binnen Tagen in Chaos,
Lähmung und Vernichtung a la „Krieg Der Welten“ gestürzt.
Ebenfalls vollanalog und auf nur 50
handnummerierte Exemplare limitiert ist eine – und seit langen
Jahren die erste – frisch erschienene 12“ auf dem längst
verloren geglaubten Kultlabel XXC3, das mit dem „Telepathic
Bubblevinyl Vol. 1“ seine mehr als berechtigte Auferstehung feiert.
Vier Tracks aus dem Umfeld des von Dr. Walker begründeten Liquid Sky
Berlin zwischen sexy Groove und einer der unmittelbaren Herkunft
geschuldeten Deepness, die sich über die Laufzeit der Einzeltracks
in einen hypnotisch-verspulten Trip verwandelt. Gerüchten zu Folge
ist auch Dr. Walker selbst mit einem Track vertreten, während die
anderen Produzenten dank vollkommener Informationsarmut dieser EP im
verschwommenen Dunkel verborgen bleiben – ebenso wie die
Bezugskanäle, denn der Zugang zum Besitz der „Telepathic
Bubblevinyl Vol.1“ wird nur dem gewährt, der sich noch
altgedienter Wege und Strukturen zu bedienen weiss. Im stationären
Tonträgerhandel ist dieser Tonträger ebenso wenig erhältlich wie
bei den üblichen Verdächtigen des Internet. Wer suchet, der findet
und analog ist besser.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 09/2013
Mittwoch, 2. September 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
…Techno. Denn nach mehr als zwanzig
Jahren der elektronischen Tanzmusik auf der Basis des
allgegenwärtigen Viererfuß ist es zumindest in diesem Monat einmal
an der Zeit, sich im Rahmen dieser Kolumne ausschliesslich und
exklusiv der experimentellen Seite der nicht immer nur elektronischen
Musik zu widmen.
Angefangen an dieser Stelle mit den
Electronica-affinen Dubexkursionen eines Herrn namens Matthias
Springer, der unter dem nicht ganz flüssig zu sprechenden Alias
Aksutique dieser Tage seine „Notch Field E.P.“ auf Diametric
vorlegt. Limitiert auf 300 handnummerierte 12“es vereint er unter
diesem Namen drei Tracks gelagert zwischen dem Pole-Gefühl der
ersten drei Alben, der stoischen, ambientösen Ruhe früher
Senking-Veröffentlichungen, weichgezeichneten Hallfahnen und einer
raumgreifenden, dreidimensionalen Tiefe, die das Verstreichen von
Zeit anhand sich nur minimal verschiebender Klangsignaturen förmlich
greifbar macht, ähnlich wie hochauflösende Deep Space
Field-Photographie ein Gefühl für den immerwährenden
Schaffensprozess innerhalb unseres Kosmos vermittelt. Durchaus
wichtig und eine echte Bereicherung für jede gepflegte
Vinylsammlung, nicht nur wegen des auf B2 versteckten Arne Weinberg
Remix unter seinem Tarnnamen Valanx.
Ebenfalls deep und experimentell geht
es auf dem in Griechenland beheimateten Label Inner Ear Records zu,
welches sich dieser Tage mit Mechanimal's selbstbetitelten Debutalbum
dem elektrosynthetischen Shoegaze widmet und sowohl campfire'esque
Intimität als auch Suicide-angelehnte Distorsionsequenzen mit von
tiefer Melancholie geprägtem Sprechgesang kombiniert. Auf diese
Weise entsteht eine Klangwelt, die von staubigen Autobahnen in
heruntergerockten Industriegebieten kündet, von harter Arbeit und
den damit verbundenen Erfahrungen, vom Blues der Straße und von
ölverschmierten Overalls. In dieser Gesamtheit sehr zu empfehlen
zumal auch Depeche Mode mit ihrem jüngsten Album „Delta Machine“
eine nicht weit entfernte Ästethetik bedienen.
Gesang der ganz anderen Art liefert die
noch junge, aber doch sehr talentierte Lisa Morgenstern, die nicht
nur wirklich so heisst, sondern sich auch als eine der wenigen ihrer
Generation an so selten gehörte Genres wie Theatrical Chanson und
Dark Sonnet wagt und damit nicht nur auf der Bühne schwer zu
beeindrucken weiss. Im Rahmen des WGT erschienen jüngst drei ihrer
Werke als Beigabe zu Thomas Manegolds' limitierter Buch-EP
„Vorgespräche Mit Goth“ in der Edition Subkultur. Mit ihren
tiefgehenden, weitgehend Piano-getragenen Interpretationen ihrer
Songs „Kannibalische Gourmet“, „Eskalation“ und „Lieber
Tod“ zaubert Frau Morgenstern grosse Bilder auf die leere Leinwand
des Kopfkinos und schafft dabei weit mehr Dramatik und Emotion als
manch zu Unrecht geförderter Dramatik-Neuzugang der deutschen
Theaterlandschaft. Diesen Gedanken konsequent zu Ende gedacht ersetzt
das melancholisch-bittere „Lieber Tod“ mit seinen 329 Sekunden
Laufzeit komplette Operetten und Musicals in Gänze und ist damit
wohl die intensivste Veröffentlichung des laufenden Jahres. Wichtig.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 08/2013
Samstag, 22. August 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
…November. Denn während diese Zeilen
entstehen ist es noch Mai, der in diesem Jahr November heisst, und
der grau überzogene hanseatische Himmel entlädt Fluten und Fluten
von Regentropfen über einem Erdreich, das schon längst kein Wasser
mehr aufnehmen kann. Es ist nicht Monsun, dafür ist es zu kalt, und
statt eines erfrischenden Sommergewitters legt sich Melancholie über
die Stadt.
Passend zu dieser Unjahreszeit
veröffentlichte das grossartige Anticon.-Imprint mit Baths'
„Obsidian“ jüngst das erste echte Herbstalbum des Jahres, das
Downbeat / Backpacker HipHop, intimes IndieFolk-Feeling,
Falsetto-Gesang sowie elegische Streicher und verschwebte
Hintergrund-Chöre in Perfektion zusammenführt, um daraus einen
höchst angenehmen Soundtrack für Kuscheldeckenabende vor dem
heimischen Kaminfeuer zu formen. Selbst clubbigere Tracks wie „Miasma
Sky“ mit seinem heimeligen Regentropfensampleintro brechen aus der
herrschenden Intimität kaum nennenswert aus und so ergeben die zehn
auf „Obsidian“ versammelten Songs in ihrer kompletten Lauflänge
ein harmonisch rundes Gesamtpaket für die Plattensammlung eines der
Melancholie durchaus zugetanen Menschen.
Grau und hoffnungslos, jedoch
energiegeladener ist auch die Welt des Projektes N.R.F.B. a.k.a.
Nuclear Raped Fuck Bomb um die beiden Masterminds Mense Reents und
Jens Rachut, das mit „Trüffelbürste“ dieser Tage sein Zweitwerk
in Albumform auf Major Label vorlegt. Weniger krawallig als auf ihrem
Debut ist der ursprüngliche nukleare ElectroPunk ist einer gefühlten
PostIndie-Attitüde gewichen, die der Resignation vor dem Alltag mit
Ironie und unterschwellig versteckter Bösartigkeit in den Lyrics
begegnet. Ein Song wie „Hälfte Des Gehirns“ erinnert zeitweilig
an die Genialen Dilettanten des 80er Jahre Berlin während „Zoo Im
Krieg“ auf wunderbare Weise fast krautrockig zu nennende
Flächenelegien mit marschierenden 4/4-Drums und hypnotisch loopenden
Gitarren fusioniert und so auch der (Neo)Cosmic-Posse zur Genüge
gereicht. „Kollegenschwein“ hingegen kommt dem katalysiertem
Wahnsinn ebenso gleich wie der überdrehte Easy Listening-Aspekt von
„Der Ziegentreiber“ und dem etwas abstrakten „Fotoapparat“.
Ein Album für die speziellen Momente des Lebens.
Doch hinter all dieser Trübnis wartet
auch ein Silberstreif am Horizont – diesmal in Form des von Martin
Scheer betriebenen und jüngst aus der Taufe gehobenen Berliner
Labels Antime, welches dieser Tage seinen ersten 12“ Tonträger
unter dem Namen „Antime V2“ in die Welt entlässt. Verortet
zwischen verträumten DeepHouse-Elegien, Electronica- /
(Neo)Cosmic-Referenzen und der dieser Tage obligatorischen Verneigung
vor Future Garage kommen die sechs Tracks der Vinylversion von
Abigail, Sebastian Dali, Owlet, Andreas Buchner, Midimum und dem von
Audiolith's Stiff Little Spinner-Serie schon hinreichend bekannten
Kalipo. Vor allem die epischen Breakdowns des Midimum-Openers „Junk
Beach“ und die melancholiebehaftet angejazzten House-Pianos von
Sebastian Dali's „Lady Marian“ gehören dieser Tage in jede
gutsortierte Plattenkiste. Gelungener Start in eine leuchtende
Zukunft.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 07/2013
Mittwoch, 12. August 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
…Post... -whatever: PostDubstep,
PostStep oder deren Derivate Skweee, Wonky und Aquacrunk, die mehr
als maßgeblich zur Verwässerung eines Genres beitragen dessen
kreativer Zenit in den Augen des Verfassers dieser Zeilen seit mehr
als einem halben Jahrzehnt überschritten scheint. Und doch gibt es
sie, die vereinzelten Ausnahmen in denen Dubstep als Ausdruck der
urbanen Paranoia in seiner reinen, reduzierten Form auch dieser
Tage noch seinen Weg via 12“ Vinyl auf die Plattenteller der Clubs
findet.
So zelebriert beispielsweise Infra auf
seiner im April erschienenen „Inside The Cold Mountain EP“ auf
F4TMusic ein beklemmendes, hyperskelettiertes SciFi-Szenario in drei
Akten, das in seinen grossen Momenten ein ähnliches Schaudern
hervorruft wie zuletzt Distance anno 2007 mit seinem via Planet µ
erschienenen Werk „My Demons“. Gerade der Titeltrack mit seiner
nahezu statischen Sinusbassline und das futuristische „Propulsion“
bestechen durch ihre Fokussierung auf athmosphärische Dichte ohne
sich in unnötiger Effekthascherei zu verlieren. Purismus für die
dunklen Stunden der Nacht.
Auf ähnlich geartetem Terrain bewegen
sich überraschenderweise auch Ulterior Motive mit ihrem auf
Metalheadz veröffentlichten „Elephant Tune“, der als statischer
SciFi-Roller den Sound des nie zu vernachlässigenden Labels in
Richtung Dubstep öffnet, während das A-seitige „Right Here“ die
Drum'n'Bass-Szene vermittels tiefgehend-verführerischer Female
Vocals, schwarztunnelnder Basslines am unteren Ende des hörbaren
Spektrums und konsequent klapperndem Beatfeuer aufmischt.
Funktioniert nur auf wirklich exzellent eingestellten Anlagen und
fordert per se einen zweifachen Rewind. Killer.
Selbst der seit geraumer Zeit aus
meinem persönlichen Fokus verschwundene Skream sorgt dieser Tage
wieder für Überraschungen, hebt doch „Kingpin“ - eine
Studiokooperation mit DJ / Producer Friction sowie den
Grime-assoziierten MCs P Money, Scrufizzer und Riko Dan – das noch
recht frische Drum'n'Grime-Genre auf ein neues Level und liefert
allen DJs eine massive Hymne für jeden Rave, gegen die der
flipseitige Calyx & Teebee Remix trotz unbestrittener
Dancefloor-Funktionalität doch wesentlich abfällt.
Seit jeher in Future Garage-Gefilden
verortet ist das von Doc Daneeka betriebene Imprint Ten Thousand Yen,
das dieser Tage mit seiner siebten Veröffentlichung aufwartet.
Verantwortlich für beide Tracks der 12“ zeichnet Xxxy, der mit
„Progression“ einen Synthie-beladenen Crossover zwischen
TechHouse und eben genanntem Future Garage liefert, während
„Thinking 'Bout“ mit elektroidem Swing dem neuzeitlichen
Garage-Sound alle Ehre macht, durch perfekt bearbeitete
Vocal-Snippets betört und natürlich auch im unteren Bassbereich
ordentlich drückt. File under: 23rd Century Swing.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 06/2013
Sonntag, 26. Juli 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
…“Exai“. Denn während die halbe
Electronicawelt das neue Album der unter dem Namen Autechre
firmierenden Glitch- und Abstraktionsfrickler Rob Brown und Sean
Booth heiß diskutiert, schickt sich der in Bukarest beheimatete
Produzent Octavian Justinian Uta a.k.a. Yvat an, den beiden
britischen Herren mit seiner neuen Veröffentlichung auf Minor Label
klammheimlich den Rang als Electronica-König abzulaufen. War sein
letztes Release „Collider“ noch geprägt von industrieller Härte
geht es auf der auf 200 Exemplare limitierten „Feldspar EP“ in
vier Variationen um die Verknüpfung abstrakter, teils verfrickelter
Beats mit warmen Bassläufen und zarten, träumerischen Melodien
sowie – siehe auch „Feldspar 1.2“ - einer weltraumkalten sci-fi
Attitüde, die auch den Autechre-Releases der mittneunziger Jahre
innewohnte. Es ist doch immer wieder erstaunlich wieviel verborgenes
Talent sich noch in den Staaten des ehemaligen Ostblocks weitgehend
unter dem Radar der westlichen Wahrnehmung bewegt und dann von
entdeckungsfreudigen Klein- und Kleinstlabels an die Oberfläche
gefördert werden – watch out for Yvat, ich prophezeihe dem Mann
noch Großes.
Groß im Sinne von episch über zwei
CDs verteilt ist auch das „Live / Remix“-Album des Londoner
Portico Quartet auf Real World Records, das mit seiner Musik zwischen
Ambient, Electroakustik, TripHop / Downbeat sowie immer wieder auch
frei fliessenden Jazz-Elementen und ein wenig cineastischem Kitsch
pendelt. Während sich die „Live“-CD aus Tourmitschnitten des
Jahres 2012 zusammensetzt und so die Arbeit der Musiker auf der Bühne
im Zusammenspiel mit dem Publikum perfekt einfängt, treffen sich im
„Remix-Teil unter anderem so illustre Namen wie SBTRKT, Luke
Abbott, DVA und Konx Om Pax, verleihen dem Portica Quartet einen
neuen Anstrich und transferieren die Tiefe der Originale in Richtung
Future Garage, lange verschollenen geglaubte Sublow-Areale – DVA!
-, Dillon'esque unschuldigen Experimentalpop, bassgetriebene
TechGarage-Hybriden oder liebliche Ambientsphären zu einem rundum
gelungenen Gesamtpaket, das jede CD-Sammlung bereichert. Gut.
Im Gegensatz zu vorgenannter, doch
recht dezent daherkommender Veröffentlichung präsentiert sich das
dieser Tage schwer gehypte Imprint Long Island Electrical Systems,
kurz: L.I.E.S., mit seiner aktuellen Veröffentlichung nahezu
unversöhnlich brachial, geht es bei den drei auf Verekers „Rosite
EP“ enthaltenen Tracks doch um Musik für fortgeschrittene
Bunkerbeschallung. Dumpfer, roher und brutalstmöglich analoger Acid
und Techno, der sich mit seiner Live-Anmutung und vermittels langer
Tracklaufzeiten wunderbar durch die äußersten Schalen des
zerfeierten Raverhirns frisst und dort bösartig blubbernde
Säurespuren hinterlässt, auch wenn die 303 nur auf dem
titelstiftenden A-Seiten-Tune offensiv zwirbelt. Musik für das Leben
im Untergrund.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 05/2013
Donnerstag, 16. Juli 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
…being short of time. Denn für
manche Veröffentlichungen braucht es Ruhe und Zeit, sie müssen
reifen wie ein guter Whisky und vor allem auch wie dieser möglichst
in einem Moment ungetrübter Aufmerksamkeit konsumiert werden.
Jene Aufmerksamkeit verlangt zum
Beispiel das aktuelle und vor allem auf nur 25 mittlerweile
wahrscheinlich vergriffene Exemplare limitierte Opus Magnum des
nimmermüden Sascha Müller unter dem Titel „Sun Moon Stars“.
Erschienen schon am 21.12.2012 – in Zeiten der kurzen
Aufmerksamkeitsspannen rekapitulieren wir: Weltuntergang... nee, doch
nicht. - geriet dieses schon auf Grund seiner blossen Gesamtlänge
von 180 Minuten verteilt auf 3CDrs mit jeweils einem einzigen
einstündigen Track ein wenig in Rezensionsverzug. Doch die
Rückstellung hat sich gelohnt, finden sich hier doch spannende
Variationen in LoopAmbient – zum einen hypnotisch pulsierend wie in
„Sun“, unangenehm, strahlenkalt und mit psychoakustischen
Effekten spielend (“Moon“) oder schlussendlich urtümlich rituell
und getragen von den eindringlichen Didgeridoo-Schleifen der „Stars“.
Wo nimmt der Mann nur die Vielzahl der Ideen und vor allem die Zeit
für ihre Umsetzung her? Ohne direkte Vergleiche ziehen zu wollen
nimmt diese Umtriebigkeit und Konzeptbezogenheit schon fast
Namlook'sche Züge an.
Ebenfalls konzeptionell, wenn gleich
auch musikalisch vollends anders orientiert ist das Album „Maskenball
der Nackten“, das der ehemalige Goethes Erben-Frontmann Oswald
Henke mit seiner kurz HENKE betitelten Band im März auf dem neuen
Label Dryland Records veröffentlichte. Natürlich immer noch für
alle Fans der schwarzen Szene unverkennbar er selbst - vor allem dank
seines zuweilen sperrigen, immer jedoch leidenden Sprechgesangs -
präsentiert sich das neue Projekt zwischen epischer, fast
überladener Romantik („Grauer Strand“), abstrakter
Nachdenklichkeit („Zeitmemory“) oder mal mehr, mal weniger
offensichtlicher Ausrichtung auf die
Zwei-Schritt-Vor-Und-Zwei-Zurück-Tanzfläche („Vergessen“ /
„Epilog“). So verortet erschließt sich „Maskenball Der
Nackten“ gerade dem Nichtvertrauten nicht zwingend beim ersten
Durchlauf, fügen sich die Songs erst mit der Zeit zu einem düster
nagenden Gesamtbild, auch wenn das treibende „Fernweh Ist“
szeneintern schnell zum Hit mutieren dürfte.
Im direkten Vergleich dazu
veröffentlicht der Hamburger Künstler Incite Hu mit seiner kürzlich
auf Hafenschlamm Records erschienen „Gift EP“ das Blueprint für
verstörende Unmusik im Sinne der sogenannten Genialen Dilletanten
und liefert mit den beiliegenden Digitalis-Samen zusätzlich echtes
und nicht nur akustisches Gift für die geschundenen Seelen dieser
Welt: verrauscht industrielles LoFi-Knorkeln trifft hallende
Tapeschleifen mit verfremdeten Stimmfetzen, scheinbar gegenläufige
Strukuturen und beklemmend paranoide Sounds. Während die A-Seite
ohne Unterbrechung eine Liveperformance des Projektes im Golden Pudel
Club dokumentiert liefert die Flipside der auf 147 Exemplare
limitierten 12“ zwei Variationen des RhythmIndustrial AntiHits
„Arsch Brennt“ und damit den idealen Soundtrack für den nächsten
Spank-Exzess der Wahl.
Tl;dr: Unit Moebius trifft auf Vatican
Shadow zur gemeinsam überdosierten Opium-/Crack-Party. Krank.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 04/2013
Mittwoch, 8. Juli 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
…silence. Denn auch wenn
kontemplative Stille durchaus etwas Beruhigendes und Angenehmes haben
kann, ist die Verunreinigung eben jener durch das Phänomen Geräusch
die elementare Grundlage des Business, in dem wir uns bewegen.
Ähnlich meditativ wie in der Stille an
sich geht es auf der neuesten Veröffentlichung des Labels Voluntary
Whores zu, das allen Drone- und Ambientliebhabern mit der
Katalognummer 003 ein C105-Tape – ja, liebe Kinder: 105 Minuten
Musik auf einer Audiocassette – des neuen, bislang noch etwas
rätselhaften Projektes Nogociella serviert und damit nicht nur
extrem tiefenentspannte Musik, sondern zum wiederholten Male auch ein
begehrtes Sammlerobjekt liefert. Limitiert auf nur 40 Exemplare
weltweit – wie gewohnt in 7“-Plastiktasche mit zwei Photos und
einer partiell grenzwertigen Beigabe auf deren Widerlichkeitsfaktor
an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll. Aber nicht
umsonst lautet der Titel „Quando Comincai A Vomitare“ - und ja,
es geht ums Kotzen und um andere recht unglaubliche Dinge wie
nichtexistente Kirchen und verschwindende Menschen. Auch wenn die
Musik für sich allein gestellt das nicht vermuten lässt.
Das genaue Gegenteil zur vorgenannten
musikalischen Meditation liefert das österreichische Spezialimprint
für hyperkaputte Musik jeglicher Art mit seiner jüngsten
Veröffentlichung. Die Rede ist von Micky Napalms “Toxic
Elements“, die seit Anfang des Jahres via Hirntrust Grind Media
ihre Runden in den eingeweihten Zirkeln dieser Welt dreht. Fies
verzerrter IndustrialNoiseHop in toxisch grünem 7“-Vinyl mit
gewohnt grenzwertigem Coverartwork, das – ebenso wie die Musik –
weder für nervenschwache noch für minderjährige Menschen wirklich
geeignet ist. Wer allerdings mit einer gesunden Vorliebe für
zerfetzte Nervenzellen gesegnet ist, darf an dieser Stelle beherzt
zugreifen, denn das „Grind“ im Labelnamen liesse sich auch
problemlos durch „Gore“ ersetzen und die Krankheit hat System.
Partiell laut und ungewohnt
tanzflächentauglich geht es auf dem ersten Release des neuen Label
Raketenbasis Haberlandstrasse zu, auf dem Betreiber und
Littlebrutalravebastard Sascha Schierloh in halber LP-Länge unter
den Tarnnamen Bidol Cath und Rgyeue DF seiner Leidenschaft für
verquasten Techno härterer Grade frönt und seinen legendären Track
„Guck Mal Ihre Beinchen An Wie Ein Schwein“ sogar von
Industrial-Legende Xotox remixen lässt. Auf der Flipside findet sich
dann ein von Michael Nowicki a.k.a. Panzerboy666 a.k.a. Cosmo
Woslowski produziertes Electronica-Medley mit wahnwitzigen 19+
Minuten Spielzeit. Raketenbasis Go! Go! Go!
Eine große Überraschung ist auch das
schon im Dezember auf R&S Records veröffentlichte MPIA3-Album
„Your Orders“, das nach dem meines Erachtens eher schwachen
Neustart des Labels zum ersten Mal wieder eine Form gesunder roher
Härte und die damit eng verbundene Ekstase zurück in den Katalog
der legendären Plattenfirma bringt. Die sechs Tracks auf Doppelvinyl
strotzen mit ihren hochkomprimierten Bassdrums nur so vor Kraft und
dekliniert das Thema Acid zwischen reduziert und clubbig-verspult mit
Chicago-Einfluß bis hin zum zerstörerischen Bunkerbrecher und
bretthartem IndustrialElektro mit kreischenden 303-Linien einmal
komplett durch. Völlig unerwartet wartet R&S hier mit dem Mut
und der Klasse längst vergangener Tage auf und katapultiert sich mit
nur einem Release zurück auf meine persönliche Watchlist. Massivst.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 03/2013
Mittwoch, 1. Juli 2020
THERE'S MORE TO LIFE THAN...
...Weihnachtswahnsinn. Oder
Weltuntergang. Denn während sich die Menschen auf den Straßen
sowohl wegen des einen als auch des anderen Themas die Köpfe
zermartern, entsteht diese Kolumne in seeliger Ruhe und nur begleitet
von den ganz und gar nicht besinnlichen Tönen der jüngst erschienen
„Dead Kore Dead Tube“ EP des Spiral Tribe-, SP23- und
69db-Mitglieds James Hawley, besser bekannt als Jack Acid.
Veröffentlicht auf digitalem Wege via Djungle Fever Berlin gibt es
hier eine ungezähmte, rohe und nervenzerreissende Variante von Acid
auf die Ohren, deren Ursprung zweifelsohne in dreckigen
Industriekellern und schwer illegalen Freetekno-Parties zu suchen
ist. Sehr gut.
Zu Hause im Club hingegen ist das
neueste Release aus dem Hause Metalheadz Platinum, auf dem sich
Artificial Intelligence & Command Strike als Kollaborateure die
Ehre geben. Sowohl „Mad One“ mit der Unterstützung von Jamakabi
am Mikrofon als auch „Broken Grounds“ liefern ein handwerklich
perfektes Blueprint für klassisch-rollenden, Subbass-verliebten
Drum'n'Bass, der ohne große Schnörkel jeden Tanzflur zum Beben und
mit seinen abgrundtiefen Frequenzen Hosenbeine zum Flattern bringt.
Absolut zeitlos und daher wichtig.
Kürzlich an dieser Stelle hoch gelobt
wurde mit „Mars“ das aktuelle Album von Ahmed Abdullahi Gallab
a.k.a. Sinkane, aus dem jetzt in der Phonica Records Special Edition
die Single „Runnin'“ ausgekoppelt wurde. Neben dem Originalsong
gibt es Remixversionen von Chandeliers und Daphni, die sich auf
höchst spannende Weise dem Afrobeat-beeinflussten SynthPop meets
Funk-Entwurf des gebürtigen Ägypters nähern. So geht Pop ohne
Anbiederung an jegliche Mainstreamgefilde.
Und auch im Hause Audiolith hält das
Popverständis dieser Tage Einzug in Form einer Splitsingle aus dem
berühmt berüchtigten Audiolith Singles Club. Während sich Fuck
Art, Let's Dance! mit ihrem Song „Maze“ in die Herzen verliebter
Indiemädchen clubben ziehen Tubbe mit „Mess“ andere Seiten auf
und rocken nach Herzenlust die queere Show mit einer
ElectroClash-Interpretation, die sich gewaschen hat.
Weniger queer, dafür aber genau so
tanzflurtauglich präsentiert sich das in Edinburgh beheimatete
HipHop-Triplet Young Fathers, das mit dem „Tape One“ ihr erstes
Album auf Anticon. vorlegt, vermittels nur acht Tracks den Glauben an
eben jenes Genre wieder zum Leben erweckt und dieses problemlos mit
hymnischen Indie-Hooklines, Afrobeat-Einflüssen, Grime-Vibes, Reggae
und dräuendem Gangster-Funk kombiniert. Pflichtkauf für alle, die
sich noch mit Begeisterung an die 2009er Two Fingers
12“-Veröffentlichung „What You Know“ in Kollaboration mit Sway
erinnern, auch wenn knapp 20 Minuten Laufzeit in diesem Fall
natürlich viel zu wenig sind. Bitte mehr davon.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 02/2013
Dienstag, 23. Juni 2020
THERE’S MORE TO LIFE THAN...
... 12“-Business – Teil 2. Denn
dieser Tage erscheinen zu viele zu gute Alben in kurzer Abfolge und
das Zeichensoll der Dezemberkolumne war zu schnell erfüllt, um sich
wirklich komplett mit allen wichtigen Veröffentlichungen
auseinanderzusetzen.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 01/2013
Sträflich vernachlässigt wurde in der
letzten Ausgabe unter anderem die erste Vinylveröffentlichung der
Illbient-Spezialistin Giulia Loli a.k.a. Mutamassik seit 2004, die
sich jetzt mit ihrem auf 250 Exemplare limitierten Allbum „Rekkez“
auf dem belgischen Label ini.tu endgültig zurückmeldet, nachdem es
abgesehen von zwei digitalen Veröffentlichungen auf RunRiot Records
und Sa’aidi Hardcore Productions in 2009 und 2010 lange Zeit recht
still um sie geworden war. Musikalisch geht es natürlich noch immer
um Illbient und düster-experimentellen InstrumentalHop mit oft
orientalischen Einschlägen, eingehüllt in musikalische Opiumwolken
und fiebrige Stimmungen, die ihre visuelle Entsprechung im
beigelegten Poster finden. Gut, das.
Ebenfalls aus Belgien kommt das Label
Sub Rosa, dessen jüngster Streich das Re-Release des ursprünglich
in typischer Industrialmanier auf C20-Cassette in Eigenregie
veröffentlichten Etat Brut-Albums „Mutations Et Protheses“ aus
dem Jahre 1981 ist. Zum ersten Mal überhaupt auf Vinyl erhältlich
spiegelt das Material die frühe Phase der von 1979 – 1984 aktiven
Industrial- / Noise-Pioniere wieder, die hier eindrucksvoll Echos und
Verzerrer mit teils prägnantem, fast funky zu nennenden Bassspiel
kombinieren und so die These von Industrial als totaler Antimusik
konterkarieren; auch wenn der Lärm- / Abstraktionsfaktor hier
natürlich enorm bleibt.
Um Längen zugänglicher, wenn nicht im
direkten Vergleich sogar niedlich, kommt dagegen das Global
Goon-Album „Plastic Orchestra“ auf dem Label 030303 daher. Elf
auf Doppelvinyl verteilte Tracks interpretieren den Genrebegriff
Electronica hier auf äußerst freundliche Weise und scheinen
zumindest einen Teil ihrer Soundquellen tatsächlich aus Plastik-
und/oder Kinderinstrumenten zu beziehen, während der andere Teil von
alten Analogsynthies genährt scheint. Ein Album, bei dem mensch
schnell das Gefühl bekommt, von der Musik geradezu umarmt zu werden.
Sehr seltenes Phänomen dieser Tage und am liebsten würde ich jetzt
sofort in einem Stück wie „Morphon Diezepad“ versinken, das
gerade angenehm weich und anschmiegsam durch meine Boxen wabert.
Toll.
Schlussendlich wird es an dieser Stelle
sogar ausnahmsweise richtig tanzbar, verdient doch die Tatsache
unbedingte Erwähnung, das Parris Mitchell’s 1994er Dance
Mania-Album „Life In The Underground“ jüngst als Katalognummmer
001 des noch frischen Ghetto House Classics-Labels
wiederveröffentlicht wurde - angeblich offiziell authorisiert durch
Mr. Mitchell persönlich und neu gemastert vom Original-DAT.
Furztrockener Chicago-Shit, natürlich mit den bei Dance Mania
üblichen Ecken und Kanten, die für die jüngere Generation oft
nicht mehr nachzuvollziehen sind, aber von roher Energie und
Aufbruchstimmung zeugen. Gibt’s so heute nicht mehr. Schade auch.
Ist nämlich geil. Und Tracks wie „Work It (Re-Mix)“ oder
„Ghetto Booty“ sind der Juke von vor verdammten 18 Jahren. Schon
deshalb: kaufen.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 01/2013
Dienstag, 9. Juni 2020
THERE’S MORE TO LIFE THAN...
... 12“-Business. Je länger meine
Entscheidung nun zurückliegt, mich weitgehend anderen Dingen als dem
Nacht- und DJ-Leben zu widmen und - wenn überhaupt - nur noch auf
wirklich reizvollen Veranstaltungen, in von Freunden geführten
Locations, zu besonderen Anlässen oder – im Sinne des Kapitalismus
- ganz pragmatisch für Summen aufzulegen, die den ganzen Aufriss
einer durchgemachten Nacht auch lohnen und es ansonsten einfach
bleiben zu lassen, desto wichtiger wird mir persönlich das
Albumformat, auch wenn dessen bevorstehender Tod und die Fokussierung
auf einzelne Songs im digitalen Zeitalter immer wieder von Künstlern
und Labels beklagt wird. Und doch, ein komplett in sich stimmiges
Album, am Stück gehört mit Freunden oder allein und ggf. begleitet
von einem Glas hochwertigen Alkohol - dieser Tage bevorzugt Bourbon
oder sofern verfügbar auch Rye – ist in der Lage Geschichten zu
erzählen und den geneigten Hörer auf eine Reise mitzunehmen, die
weit über das hinaus geht was die gewöhnliche Maxisingle zu leisten
vermag.
Auf das Erzählen einer selbigen
angelegt ist die erste Veröffentlichung des noch jungen Tapelabels
Voluntary Whores, das mit dem auf 40 Kopien limitierten Release „I
Was A Good Hunter Until That Day...“ des Projektes Bears. – mit
Punkt! – zwischen Dark Ambient, Jazz-Drumming und Noize eine
mysteriöse Begebenheit aus dem Kanada der 1930er Jahre nachzeichnet
und damit durchaus gruselige Momente erzeugt. Krankes Zeug und auch
ohne echte Sprecher ein ziemlicher Trip. Hörspiel (Not Hörspiel)
dürfte wohl der passende Claim dafür sein.
Weniger gruselig, aber überaus
begrüßenswert ist die Tatsache, das das großartige
Rangleklods-Debutalbum „Beekeeper“ dieser Tage via Schoenwetter
Schallplatten endlich auch auf Vinyl erhältlich ist. Luxuriös als
Doppel-LP im Gatefold-Cover gibt es hier nicht nur die 10 Tracks des
Albums sondern zusätzlich als D-Seite noch die „Home EP“ der
Indie- / SynthPop-Formation, die jüngst als Vorband von WhoMadeWho
tourte und mit ihren nebulös melancholiegetragenen Songs viele
Herzen im Sturm eroberte. Ganz großes Songwriting, ein Gespür für
überraschende Wendungen und tolle Videos. Ich prophezeie eine
güldene Zukunft und lege die Band hiermit ALLEN unseren Lesern und
besonders auch den Depeche Mode-Fans unter ihnen ans Herz – Songs
wie „On Top“, „Riverbed“ oder „Clouds“ erklären das
Warum von selbst, auch wenn Rangleklods weit weniger catchy
daherkommen als viele klassische SynthPop-Bands, den Griff zur
halbakustischen Gitarre nicht scheuen und dann auch Alternative
Country können. Ein Album für die Ewigkeit und ich bin der kürzlich
hier im Heft vorgestellten Nachteule Lilly Rumler für den Hinweis
„So geil, musst Du unbedingt anhören“ zu ewigem Dank
verpflichtet.
Eine weitere faszinierende Geschichte,
diesmal aus der Vergangenheit, erzählt auch das englische Label
Mordant Music, das mit der Wiederveröffentlichung des ursprünglich
im Jahre 1979 erschienenen Albums „Recorded Music For Film, Radio &
Television: Electronic Vol. 1“ aus der Feder des Musique
Concrete-Komponisten Tod Dockstader einen spannenden Einblick in die
elektronische Musik der Prä-Techno-Ära ermöglicht und insgesamt 13
kurze Synthesizer- / Cosmic- / Ambient-Experimente wieder zugänglich
macht. Meines Erachtens nach schon aus historischen Gründen eine der
wichtigsten Veröffentlichungen der letzten Wochen und zweifelsohne
musikalisch immer noch hochaktuell. Get.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 12/2012
Samstag, 30. Mai 2020
THERE’s MORE TO LIFE THAN...
... EDM. Auch wenn ich diesen Begriff
zugegebenermaßen in den Früh- und Mitt-2000ern in Anlehnung an das
weit verbreitete Akronym IDM („Intelligent Dance Music“; kleine
historische Auslassung für die spätgeborenen Leser unter uns: die
IDM-Mailinglist existiert seit 1993 im Internet und wurde
ursprünglich ins Leben gerufen, um die Veröffentlichungen des
Rephlex-Labels online zu diskutieren.) oft benutzt habe, um den
musikalischen Ansatz meines eigenen Labels Intrauterin Recordings zu
skizzieren: das Veröffentlichen tanzbarer, elektronischer Musik
unabhängig von Genregrenzen und stilistischen Einschränkungen.
Dabei hatte ich jedoch anderes im Sinn als die Deadmau5s und Guettas
dieser Welt – Vielfalt. Kreativität. Unabhängkeit.
Mit diesen Stichworten ist auch der
Output des legendären, in Manchester beheimateten Labels Factory
Records grob und passend beschrieben, der dieser Tage via Strut
Records zu neuem Leben erwacht. „FAC.DANCE 02“ versammelt 24
längst verschollene Perlen aus dem Backkatalog der Jahre 1980-1987
auf Doppel-CD , unter anderem die großartigen Quando Quando, A
Certain Ration mit „Lucinda“, Sir Horatio’s nebelgrauen
„Sommadub“ und natürlich Fadela’s „N’sel Fik“, dessen
Introsequenz die gesampelte Grundlage von Lennie De Ice’s 1991er
Breakbeat-Klassiker „We Are i.e.“ darstellt. Mehr
Geschichtsstunde auf einmal geht kaum und schon deswegen sei
„FAC.DANCE 02“ an dieser Stelle schwer empfohlen.
In ähnlicher Tradition steht auch die
Debutveröffentlichung der obskuren Band Die Else Girls, jüngst
erschienen als 7“ in einer Auflage von 300 Exemplaren via iRRland.
Während die A-Seite mit der Originalversion zwischen Artschool,
Dada, NDW und (No)Wave mäandert liefert Flavio Diners auf der
Flipside filternden DiscoDeepHouse jenseits des derzeit üblichen
Tempolimits und liefert dabei Anknüpfungspunkte zu Labels wie dem
längst vergangenen Ladomat 2000, aber auch zum Ware-typischen
Pop-Aspekt der Schaffhäuser’schen Prägung. Spannend und meines
Wissens nach nicht über die regulären Vertriebskanäle zu beziehen.
Weiter geht es mit den Trentemöller &
Visionquest Remixen für den David Lynch Song „Pinky’s Dream“,
im Original zu finden auf dem Album „Crazy Clown Time“ und einer
der zugänglichsten Songs auf dem Langspieler. Während Trentemöller
mit seiner Neubearbeitung den Weg des dunklen ElectroWave wählt und
der sehnsüchtigen Stimme von Karen O ein düster-treibendes Korsett
schnürt, beschreiten Visionquest dunkle KrautDisco-Pfade im Sinne
der letzten DC Recordings-Veröffentlichungen und schicken die
Tanzfläche zu später Stunde auf einen spacig-kosmischen Trip. Sehr
schöne 12“, aber trotz CutOut-Cover und gefühltem 180Gramm-Vinyl
mit einem Ladenpreis von fast 14 Euro eigentlich zu teuer.
Gleiches gilt im Übrigen für die
„Permissions Of Love“ 3-Track EP der wunderbaren Tropic Of
Cancer, die im Laden mit ungefähr 18 Euro zu Buche schlägt. Dabei
ist diese Platte mit einer Auflage von 500 Exemplaren plus
zusätzlicher Nachpressung von 300 Stück in weißem Vinyl nicht
einmal sonderlich limitiert und legt so den Verdacht nahe, das hier
tatsächlich die Profitgier langsam durchschlägt. Auch wenn der
stoisch dronige Wave-Ansatz mit Shoegaze-Attitude für Fans des
Genres eine echte Offenbarung ist, lässt sich ein Preis wie dieser
nur noch schwerlich rechtfertigen.
Nach einem durchaus fälligen Anstieg
der Vinylpreise in den letzten 24 Monaten ist jetzt langsam ein Punkt
gekommen an dem das Ende der Fahnenstange erreicht scheint und die
Branche Gefahr läuft, dem noch von Vielen geschätzten Medium durch
Drehen an der Preisspirale den Garaus zu machen. Das gilt es zu
verhindern, oder?
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 11/2012
Samstag, 23. Mai 2020
THERE’s MORE TO LIFE THAN...
...Standardformate - gerade weil es in
unserer elektronischen Welt immer sehr geordnet zwischen 12“ und in
Ausnahmefällen 7“ zugeht und selbst dem von mir geliebten 10“
Format noch fast etwas Exotisches anhaftet. Doch es geht auch
anders.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 10/2012
Nachdem Sascha Müller den
Formatfaschismus in diesem Jahr schon mit dem Revival von
DIY-Tapeauflagen und – wir erinnern uns – in Hardcases
verschraubten DVDrs aufs heftigste bekämpft hat, geht er mit seiner
neuen „Booty Flop“-Serie noch einen Schritt weiter und holt mit
3.5“-Disketten ein weiteres Medium aus dem Keller, dessen Tod schon
in den Neunzigern als vollends besiegelt galt und darüber hinaus nie
als Medium zur Veröffentlichung von Musik geeignet war. Enthalten
ist pro Veröffentlichung ein Track im 48 oder 64 kpbs aufgelösten
mp3-Format, limitiert auf 10 Kopien pro Laufnummer. Erwähnenswert
hier vor allem die Folge 1 der Serie mit einem obskuren MashUp von
Michael Jacksons „Billie Jean“, das klingt als wäre es durch
einen Telefonhörer an einer analogen Kupferleitung aufgenommen.
Völliger Irrsinn in Hyper-LoFi.
Dagegen ist die ebenfalls aus der
Müller’schen Feder stammende zweite Veröffentlichung auf dem
Label Psychocandies schon fast gewöhnlich, steckt hier doch eine auf
100 Stück limitierte 7“ mit hypnotischem AnalogAcid statt in
einem normalen Cover in einer semi-antiken 8“ Diskettenhülle.
Sieht nicht nur gut aus, klingt auch so.
Viel weiter und über den Rand des
verpackungstechnischen Wahnsinns hinaus geht in diesem Monat nur
Turgut Kocer mit seinem Materiau-Label und der Veröffentlichung des
fünfteiligen Gesamtwerkes „Eminenzen Gold“, das limitiert auf
insgesamt nur 3 Downloads und 7 Doppel-CDrs erscheint. Letztere
verpackt in einer verklebten 12“ Plastikhülle mit einem zusätzlich
verpackten, mehrseitigen Manifest mit einem teilverbrannten Photo,
Rollsplit, Kohlestückchen, Knäckebrotkrümeln und einer als
Samplequelle dienenden alten Schellackplatte als zusätzliche
Dreingabe. Ein großes FUCK YOU erstmal als Dank für die widerlich
schwarz eingestaubten Finger beim Öffnen des Paketes und kein
weiterer Kommentar zur Musik, da mein Laufwerk sich konsequent
weigert mehr als ein paar Sekunden der CDrs abzuspielen, bevor
verdächtige Brumm- und Knarzgeräusche aus seinem Inneren mich zum
panikartigen Abschalten des Gerätes zwingen, um einen Totalschaden
zu vermeiden. Die Vermutung liegt nahe, das die aufgebrachten Sticker
eine Rotationsunwucht verursachen, deren Folgen zumindest für mein
Laufwerk fatal sein könnten. Das ist nicht witzig.
Eine Verschiebung und Verzerrung des
Zeit- und Realitätsformates hingegen betreibt Arthur Boto Conley’s
Music Workshop mit der Veröffentlichung von drei großartigen
Stücken des ominösen Musikers Clifford Trunk auf dem Label Travel
By Goods, dessen vierte und vorliegende Veröffentlichung auf 333
Exemplare schneeweißer 12“es limitiert ist. Laut beiliegender
Geschichtsverortung sind alle drei Titel einem unveröffentlichten
Demotape ebenjenes in Deutschland geborenen Amerikaners entnommen,
übergeben an Mr. Conley nach einer zufälligen Unterhaltung im
Ratinger Hof der späten 80er. Mythenbildung? Oder gar doch ein
futuristisches Genie? Der Techno- / House-Ansatz jener Stücke ist
zumindest erstaunlich smooth, wunderschön arrangiert und im Falle
des „551 (Dub)“ sehr nahe an SpeedGarage ohne cheesy Samples,
während „418“ (Neo)Trance und „940“ säurehaltigen und
extrem zurückgenommen ArmchairTechno Warp’scher Prägung in
Reinkultur vorwegnehmen. Groß.
Eine weitere Verschiebung, diesmal der
Hörgewohnheiten, steht den Fans des InFine-Labels mit dem Signing
des Bassmusik-Duos Downliners Sekt bevor, die mit ihrer Single „Trim
/ Tab“ nicht nur ihr für 2013 geplantes Album ankündigen sondern
dem Label Tür und Tor ins sogenannte „’ardcore continuum“
öffnen, beackern sie hier doch das Feld zwischen melancholischem
Future Garage und verrauschtem, auf dem Prinzip des Antigroove
aufgebautem Digital R’n’B, wobei natürlich auch der
PostRave-Ansatz früher Burial-Werke nicht zu kurz kommt. Deep shit.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 10/2012
Sonntag, 17. Mai 2020
THERE’s MORE TO LIFE THAN...
...Platzmangel. Denn im Sinne der alten
HipHop-Weisheit „Too many MCs, not enough mics“ heisst es in
diesem Monat „Too many records, not enough space...“ um wirklich
jeder Veröffentlichung gerecht zu werden.
Angefangen mit den Peaking Lights, die
dieser Tage aufgrund ihres neuen Albums „Lucifer“ in allen
Magazinen hoch gehandelt werden, aber auch mit ihrer 2011er
Veröffentlichung „936“ immer noch so steil gehen, dass dieses
Album mittlerweile mehrfach wiederveröffentlicht wurde und
mittlerweile in sieben – sic! – verschiedenen Varianten via Not
Not Fun Records und Weird World erhältlich ist. Psychedelisch
verschwebt zwischen Campfire Folk, PostRock, Hippietum und Dub,
versehen mit einer Portion Grundrauschen und Lo-Fi-Attitude für mich
eine der Entdeckungen der letzten Wochen.
Dub-orientiert geht es weiter mit
„Release The Hounds“, dem frisch veröffentlichten Album des
Produzenten Da Grynch auf Necessary Mayhem, das die Möglichkeiten
des digital erzeugten Roots Dub voll auslotet und vor allem mit „Our
Dub“, „Can’t Take No More (Phaser Dub)“ und „Ravers“
grossartige Riddims erschafft, die in mir die Sehnsucht nach einem
echten Dub-Clash in meiner Heimatstadt wieder aufleben lassen. Dub
für die Welt!
Schon ein paar Wochen auf dem Markt,
aber immer noch spannend für alle Chicago-, Dance Mania- und
Footwork-Liebhaber ist das zweite Release des Labels Blank Mind, das
zwei längst verschollen geglaubte Tracks des Produzenten DJ Clent
wieder verfügbar macht. Gerade der Track „3rd World“ – 1998
auf der „100% Ghetto E.P.“ erschienen - greift dem Footwork-Movement um mehr
als 10 Jahre vor und bietet eine gute Möglichkeit, den besten und
wichtigsten Track des auf Discogs für 40+ Euro gehandelten Dance
Mania-Originals in die Sammlung zu stellen.
Eine weitere Reisegelegenheit in
wunderbar retro-futuristische Gefilde findet sich mit der jüngst auf
Viewlexx erschienen „Replicant E.P.“ von Kid Machine, auf der
sich insgesamt sechs vorlagentreue Replikationen des originären
ItaloDisco-Sounds finden, für den sich der Schreiber dieser Zeilen
fast immer begeistern kann. Und ja, es geht um Kitsch der allerersten
Güteklasse während sich das ebenfalls dem klassischen Electro
verschriebene Label Robotmachine Records mit der „Invasion From
Mars“ des Dynamik Bass System vier Varianten reinrassigsten
Breakdance- / Electro Bass-Sound auf schneeweissem Vinyl liefert und
damit nicht nur den Oldskoolern unter uns eine echte Freude macht.
Ganz gross und immer wieder gut.
Ausserdem neu und frisch ist der zweite
Teil der Stiff Little Spinners-Serie auf Audiolith, die mit diesem
6-Track-Vinyl entgegen ihres ElectroPunk-Rufes erneut die Tiefen von
Deep- und SlowHouse sowie (Neo)Cosmic erkunden und auch vor
humorvollem Ska-/Polka-Minimal nicht haltmachen. Unter anderem
involviert: Krink, Kalipo, Torsun Teichgräber und andere. Limitiert
auf 300 Kopien und am zu beziehen über den labeleigenen Mailorder.
Get!
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 09/2012
Freitag, 8. Mai 2020
THERE’s MORE TO LIFE THAN...
...colour. Sagt zumindest der Blick in
den trist trüben Hamburger Himmel und aus diesem Grunde beginnt der
musikalische Rundblick in diesem Monat mit dem auf Dirty / Pschent
veröffentlichenden Trio Tristesse Contemporaine, die auf ihrer
ebenso betitelten Debut-LP nicht nur die Tristesse im Namen führen
sondern mit Titeln wie „Empty Hearts“ oder „Hell Is Other
People“ auch ganz schnell klarstellen wo der dunkelgraue PostPunk-/
(No)Wave-Hammer hängt. Geht in Ansätzen auch auf dem
Indie-Dancefloor und erinnert in seinem musikalischen
Variantenreichtum zuweilen an das bereits 2004 auf Dekathlon
erschienene Nam:Live!-Konzeptalbum „The Testament: Sex, Scriptures
And Rock & Roll“. Sehr empfehlenswert,
Grautöne vor allem im Sinne der
inselartigen Zustände des ummauerten Berlin der Früh80er-Jahre sind
auch das musikalische Thema der – ganz No Future-gerecht –
Verbrannte Erde benannten Band, die mit „IV“ ihr eben viertes
Album der Bandgeschichte vorlegt. Erschienen auf Major Label
verbreitet die Truppe düstergraue Musik irgendwo zwischen Fehlfarben
und charmant schrammelndem DeutschPunk, ohne jedoch in die
Klischeefalle der „Schlachtrufe BRD“-Serie zu tappen. Hier gibt
es Inhalt, durchdachte Texte und natürlich eine gehörige Portion
Systemkritik, die jedoch subtiler daherkommt als mensch es vielleicht
in diesem Zusammenhang gewohnt ist.
Eine andere Form von Farbverzicht übt
das zur Zeit schwer angesagte Rawax-Label, interessiert sich einen
Dreck für Covergestaltung und liefert statt dessen farbiges Vinyl in
weissen Papierhüllen, stilecht als Whitelabel mit – farblich zum
Vinyl passender – Stempelästhetik. So suggeriert mensch die
Verbundenheit zum Untergrund, generiert im besten Falle einen kleinen
Hype (gelungen!) und liefert mit der Katalognummer 10.2 von Unbroken
Dub nach vergleichsweise schwachem Start auch endlich einmal
entsprechendes Material ab. Zwei Tracks gibt’s auf der „Kosmos
EP“ - einmal eher `troity verträumten Armchair Techno, mit dem
sich im Idealfall auch die vertripptesten Raver glücklich nach Hause
schicken lassen, während es auf der Flipside leicht angedubbed, mit
kühlem Sci-Fi-Approach und vor allem mehr Druck zur Sache geht. Wer
sich schon vor dem Hype die Sandwell District 010 ins Regal gestellt
hat findet hier die ideale Anschlussplatte.
Trotz exzellent gestaltetem
schwarz-weiss Grafikcover überhaupt nicht monochrom präsentiert
sich hingegen die „Origo“ EP der schwedischen Produzenten Lisa &
Kroffe auf dem eben dort beheimateten Label Monoscope und servieren
nahezu kosmisch anmutende Synthesizermusik vom allerfeinsten.
Weitgehend beatlos, angenehm kitschig und Ambient und die grossen
Vorbilder wie Jean-Michel Jarre, Vangelis oder auch Tangerine Dream
schauen hier und da auch gern einmal um die Ecke. Trotzdem: Lisa &
Kroffe kopieren nicht sondern liefern gelungenes 2012er Update
analoger Klangkunst und zeichnen akustische Landschaften im epischen
Breitwandformat. Me likey.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 08/2012
Mittwoch, 29. April 2020
THERE’s MORE TO LIFE THAN...
...money - „...nicht, weil Geld
glücklich macht sondern alles einfach, an jedem neuen Scheißtag an
dem Du keins hast...“ um an dieser Stelle noch einmal Ferris MC’s
Klassiker „Im Zeichen Des Freaks“ zu zitieren, sondern weil es
dieser Tage immer mehr Platten gibt, bei denen sich die Labels und
Produzenten um einen gewissen Mehrwert bemühen. Sei es in Form eines
exquisiten Artworks oder spezieller Beilagen, besonderer
Veröffentlichungsformen oder ähnlichem – vom Sammler geschätzt
aber manchmal auch vom Normalkonsumenten verflucht, weil sich dieses
Extra-Bit auch immer wieder im Verkaufspreis niederschlägt. Aber
Geld muss im Umlauf bleiben, auch in Zeiten der Krise und deshalb:
immer raus damit.
Zum Beispiel für die neue
Veröffentlichung des hier schon vor Monaten erwähnten Labels Shhhh
Records, die mit der „Odenwald EP“ von Ghosts In Disguise
alle Freunde des tendenziell nett-verträumten MinimalHouse pleasen,
dabei niemandem wehtun und auf der beigelegten 6-Track Bonus-CD noch
einmal drei Non-Vinyl-Mixes on top servieren. Mit im Remix-Boot unter
anderem Robert Edwin a.k.a. Robert Feuchtl a.k.a. Bob Humid, Matthias
Schaffhäuser und Labelhead Turgut Kocer a.k.a. Bluff.
An dieser Stelle kürzlich schon einmal
erwähnt schlägt auch das aktuelle – und darüber hinaus
grossartige – Album „Clay Class“ der PostPunk/Indie-Formation
Prinzhorn Dance School in die Kerbe der als durchaus „pricey“
einzuordnenden Veröffentlichungen dieser Tage und bei allem Support
und gutem Willen stellt sich hier die Frage, wie denn ein
Ladenverkaufspreis von 30+ € für eine einfache LP mit elf Tracks
zu rechtfertigen ist? Liebe Menschen von DFA / Cooperative Music das
ist eine grobe Frechheit und da hilft auch die mittlerweile Standard
gewordene CD-Beilage nicht viel, denn wenn der HAB
(Händlerabgabepreis) schon fast den Ladenpreis eines normalen Albums
erreicht, ist es klar, das die Verkaufs- und vor allem Preorderzahlen
in den Keller rutschen, keiner das Werk wahrnimmt und entsprechend,
wie in Hamburg gesehen, auch die Konzerttour nicht läuft. So
verbrennt mensch Potential und das haben Prinzhorn Dance School
wahrlich nicht verdient.
Neues gibt es auch aus dem Hamburger
Hause HFN Music zu vermelden, denn auch wenn sich das angekündigte
Album der verrückt gewordenen Reptile Youth in Richtung Frühherbst
verschiebt gibt es jetzt erstmal die neue Single „Black Swan Born
White“ in zwei Varianten. Die Indie-Fraktion wird auf 7“ mit dem
ohrwurmzüchtenden Original und einem leicht treibenderen Remix der
Londoner No Wave-Band S.C.U.M. bedient, während sich die
elektronisch-affinenen Tänzer auf 12“ Clubversionen von Terranova
und Mark E freuen dürfen. Doch Remixe hin oder her – das Original
ist ungeschlagen und daher von meiner Seite aus nicht nur des
Formates wegen der Erwerb der 7“-Single schwerstens empfohlen.
Ebenfalls spannend und gleich in
mehreren Teilen besorgt es unser aller Lieblingsisländerin Björk
Gudmundsdottir der vinylkaufenden Zunft mit der jüngst
veröffentlichten 12“ Remix-Serie zu ihrem aktuellen Album
„Biophilia“, aus der vor allem Teil 1 mit brutalstmöglich
komprimierten Drum- / Dubstep-Remixen von „Crystalline“ und
„Solstice“ hervorsticht. Beide hochverdichtet und auf technische
Effizienz getrimmt vom Berliner Produzenten Current Value, dessen
extrem präzise Soundästhetik schon seit dem Beginn seiner Karriere
ihresgleichen sucht. Heftig.
Freunde gepflegt-mystischer Bassmusik
hingegen erfreuen sich dieser Tage am neuen und in vielfachen
Varianten erhältlichen Werk des MythStep-Gottvaters Sam Shackleton –
„Music For The Quiet Hours / The Drawbar Organ EPs“ auf seinem
Label Woe To The Septic Heart! Erschien jüngst als limitierte 3x12“
+ CD Box, wahlweise auch als Doppel-CD Box oder jeweils separiert in
3 einzelne Maxis und CD-Album. Viel Auswahl für den passionierten
Sammler und auch musikalisch natürlich wieder ganz weit vorne,
spielt Shackleton mit seinen tribalistischen, schwer rituellen
Soundentwürfen schon seit Anbeginn seiner Produzentenkarriere in
einer ganz eigenen unerreichten Liga. Must have.
Jene Bassmusik haben scheinbar auch
meine Freunde aus der Frittenbude zumindest im Ansatz ordentlich
inhaliert, denn auf deren aktuellem Album „Delfinarium“ finden
sich neben den üblichen Partybangern und Ausflügen in die komplexe
Intimität der Melancholie auch Einflüsse von Drum’n’Bass und
Dubstep. Die Vinylausgabe gibt’s im schicken Gatefold-Cover als
Doppel-LP und mit 50/50-Chance auf eine farbige Pressung. Das
erwachsenste Album der Band bisher und der Einstieg auf Platz 14 der
Albumcharts wohl verdient. Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle
noch einmal – sowohl an die Band als auch an die Partystrategen aus
dem Audiolith-Büro.
Ebenfalls in die Kategorie „must
have“ einzuordnen, wenngleich auch wesentlich schwieriger zu
erwerben und daher „a record to hunt down“ für die Fraktion der
Jäger und Sammler unter uns ist das selbstveröffentlichte
Doppelalbum „Pieces Of Conversation“ des kryptisch benannten
Projektes [aniYo kore] mit der Matrizennummer BOBHARRIS001 und der
klaren Mission melancholisch vokal-orientierten TripHop unter
Zuhilfenahme von reduzierten Beatstrukturen, leicht verstimmten
PostRock-Gitarren, diversen Sample- / FieldRecording-Spielereien und
dem Echo von Illbient zu retten. Ziel erreicht, auf Platte zumindest,
die der versierte Sammler am ehesten wohl auf einer der diversen
[aniYo kore] Live-Shows in die hoffentlich fettfreien Finger bekommt.
Gut, das.
Eine weitere liebevoll aufgemachte
Entdeckung, die ich den regelmässigen Besuchen der Hamburger
Lokalität Meine Kleinraumdisko verdanke, ist die schon in 2011 auf
Light In The Attic Records erschienene Gatefold-Doppel-LP „Beautiful
Rivers And Mountains: The Psychedelic Rock Sound Of South Korea’s
Shin Joong Hyun 1958 – 1974“, die nicht nur mit ausführlichen
Linernotes und beigelegtem Interview die Geschichte eines
aussergewöhnlichen Komponisten, Musikers und Produzenten
nachzeichnet sondern zudem das Ohr neu für eben Psychedelic Rock,
hippie’esk verschwebte Blues-Variationen und zuweilen auch nach
Easy Listening oder Novelty klingende Songs neu öffnet, zumal diese
mit koreanischen Texten eine ganz eigene ungewöhnliche und exotische
Spannung entwickeln. Zwar komplett unelektronisch, hat aber einen
Platz in jeder gutsortierten Plattensammlung verdient.
Die jedoch aufwendigste Albumverpackung
des Monats und den abgeschossenen Vogel für Hyperlimitierung liefert
– wen wundert das jetzt ? – natürlich wieder Sascha Müller, der
sein Album „Error 404“ als 3“ DVDr mit 14 .wav-files
veröffentlicht und statt in ein Minicover zu stecken lieber gleich
in einem ausgemusterten Laufwerk stossfest verschraubt. Echte
Handarbeit, Vollmetall und in einer DIY-Auflage von 9 Exemplaren
weltweit erschienen. Sammlerstück für Freunde von Clicks’n’Cuts,
Experimental Ambient und elektronischer Deep Listening Music
jeglicher Couleur – die Suche danach lohnt. Sehr.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 07/2012
Samstag, 18. April 2020
THERE’s MORE TO LIFE THAN...
...love. Das dem nicht so ist erfährt
der Autor dieser Zeilen an jedem Tag wieder schmerzlich im Kampf um
die Liebe, die Frau seines Lebens und aus genau diesem Grunde geht es
in diesem Monate um eben jene – um die Liebe. Um Songs und Bands,
die die Seele streicheln, die Verzweiflung kompensieren oder auch...
whatever.
Angefangen mit dem in Deutschland immer
noch unterschätzten DFA-signing Prinzhorn Dance School, deren Show
im März in Hamburg leider grandios unterbesucht war, was aber
glücklicherweise weder der Grossartigkeit noch dem Energielevel
ihres ultraminimalen PostPunk-Entwurfes Abbruch tat. Die Songs aus
dem aktuellen Album „Clay Class“ liessen Grosses vermuten und es
bleibt zu hoffen, dass die deutsche Fangemeinde endlich einmal
aufwacht. Musikalisch dunkel, aber zumindest mit der Hoffnung
spendenden Zeile „When nothing matters... all is well“ versehen
ist der jüngst erschienene Longplayer „Sisyphus“ der
Wave-/Goth-Legenden No More. Legenden? Kennt keiner? Zumindest die
ältere Generation der FAZE-Leser hat sich in den Spätneunzigern zur
Hell’schen Interpretation von „Suicide Commando“ die Füsse
wund getanzt, auch wenn schon damals das Wissen um die 1981-er
Originalversion aus der Feder von – genau! – No More der breiten
Masse von Ravern nicht eigen war. Also: anhören.
Ebenfalls gezeichnet von Verlangen und
Verzweiflung ist die neue 7“ des Herrn Trentemöller auf seinem
eigenen Label In My Room – wieder in Zusammenarbeit mit der
Vokalistin Marie Fisker serviert der wohl bekannteste Däne der Welt
eine Neubearbeitung des 1984-er PostPunk-Underground-Hits „My
Dreams“ von The Gun Club: auf der A-Seite dunkel dräuend und
hypnotisch, während die Akustikversion auf der B-Seite schon fast
ein Gefühl von Lagerfeuer verbreitet ohne dabei wirklich harmlos zu
sein. Als – leider nur – Digitalbonus obendrauf gibt’s eine
Neubearbeitung von Chris Isaak’s Überhit „Blue Hotel“, der
Sehnsüchte weckt... nicht nur nach einer Vinylversion!
Und noch eine weitere Neubearbeitung
eines Klassikers gibt es zu vermelden, denn die in Wiesbaden
beheimatete Formation Naon wagt sich gleich mit dem Opener ihrer
aktuellen 5-Track EP „Working Title“ and den
Eurhythmics-Evergreen „Sweet Dreams (Are Made Of This)“, verleiht
ihm einen neuen Anstrich zwischen Synthie- und FuturePop und verbrät
dabei alle Effekte, die vor allem letzteres Genre hergibt. Könnte
ebenso wie die anderen Tracks dieser EP durchaus in die Heavy
Rotation-Listen lokaler Grossraum-Gothic-Parties wandern, ist
allerdings für echtes Airplay stellenweise doch ein wenig zu dick
aufgetragen. Trotzdem einen Check wert.
Ebenso gilt dies auch für das schönste
Liebeslied des vergangenen Monats mit dem bezeichnenden Titel „In
Love“, gesungen und geschrieben von der unglaublich bezaubernden
Ira Atari und zu finden auf „Audiolith – Doin’ Our Thing #2“,
dem exklusiven Vinylbeitrag des Hamburger Labels zum Record Store Day
2012, der mit Bratze’s „Strafplanet“ und dem legendären „Tote
Tiere“ von Supershirt & Captain Capa noch mindestens 2 dicke
Hits zusätzlich enthält.
Eine andere und durchaus besondere
Liebesgeschichte versteckt sich hinter dem Song „Giver“, zu
finden auf dem grossartigen Debutalbum „Not Now“ der Hamburger
Band Clara Bow. Ursprünglich von ihrem schwedischen Ex-Partner Johan
Eckerström im Rahmen der Trennungsbewältigung von Frontfrau Katrin
Hesse geschrieben, coverte sie diesen mit Clara Bow, zunächst jedoch
ohne das Wissen darum das sie selbst Thema des Selben ist.
Nichtsdestotrotz findet sich „Giver“ nun auf dem Album und füllt,
ebenso wie die nur beispielhaft genannten Songs „Paul Rulz“,
„Restart“ oder „You Got It“ alle Tanzflächen zwischen Indie
und GaragenPunk-beinflusstem Rock’n’Roll – selten so viele
Ohrwürmer innerhalb von knapp 35 Minuten Laufzeit gehört und schon
deshalb Pflichtkauf für alle, die ein offenes Ohr für Gitarrenmusik
mit dem Herz am rechten Fleck haben. Besser sind Clara Bow nur noch
live und laut Gerüchteküche (...oder besser: den Informationen bei
gemeinsamen Spätstück in der u.a. von Hannes Langner betriebenen
Bar-/Cafe-Location „Die Gesellschaft“ zufolge) steht im
Frühherbst eine Tour zum Album an. Watch out! Watch out gilt auch
für den dort servierten Apple Pie und extrem leckere
Ciabatta-Sandwiches in diversen Variationen. Beim nächsten
Hamburg-Besuch austesten und dann direkt im Anschluss das Clara
Bow-Album im weniger als 5 Gehminuten entfernten Plattenladen Otaku
Records käuflich erwerben.
Für frisch und unschuldig Verliebte
servieren I Heart Sharks ihre Single „Summer“ mit dem fast noch
faszinierenderen Bonustrack „Aerobics“ - mein persönlicher
Favorit dieser Veröffentlichung. Kennengelernt haben sich I Heart
Sharks der Legende nach übrigens im Berghain und liessen ihren
Happy-Go-Lucky-IndiePop standesgemäss zusätzlich von Brazed, Etnik
und den Audiolith-Wonderboys Captain Capa durch den Wolf drehen.
Meine liebste Neuentdeckung der letzten Wochen jedoch ist die
7“-Single „I Heard You Say“ der Vivian Girls, veröffentlicht
zwar schon zum Recordstore Day 2011, aber mit ihrem leicht
verquer-hippieskem, leicht vernebelt-unschuldigem Mädchengesang
immer noch Balsam fürs gebeutelte Herz. Entdeckt habe ich die Band
übrigens in der Bar Meine Kleinraumdisko, einer meiner Hamburger
Lieblings-HangOuts für unter der Woche, und genau diesem Ort
verdanke ich auch meine entfachte Liebe zum Dillon-Album „This
Silence Kills“ auf BPitch Control – irgendwo zwischen
Elektronik, Björk und süsser Unschuld. IndiePop 2012 und vor allem
„Tip Tapping“ ist ein grosser Hit. Wichtige Platte. Kaufen!
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 06/2012
Donnerstag, 9. April 2020
THERE’s MORE TO LIFE THAN...
...bass. Diese Aussage schimmerte
blitzte kürzlich in einem Interview auf, welches der hochgeschätzte
Rhythmus- und Klangforscher Bernd Friedmann in einem ebenfalls der
elektronischen Musik verschriebenen Magazin gab. Eine Aussage, die
per se natürlich für seine eigenen, oft von aussereuropäischen
Musiken beeinflussten Soundreisen durchaus Gültigkeit hat, ganz
bestimmt aber nicht für inselbritisch geprägte Clubmusik, um die es
in diesem Monat in dieser Kolumne vorwiegend gehen soll.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 05/2012
Allen voran schreitet hier in der
letzten Zeit vor allem Paul „Seiji“ Dolby, der den älteren
Breakbeat-Adepten unter uns noch mit seinen Releases auf Labels wie
Reinforced, 2000 Black oder Bitasweet in süsser Erinnerung ist, in
den letzten Monaten mit insgesamt drei hochklassigen 12“es auf
seinem eigenen Impringt SEIJI in Erscheinung trat und ausserdem einen
Remix zu Joe Goddard's „Gabriel“ auf dem Hot Chip-Label
Greco-Roman beisteuerte, wie gewohnt zwischen Future Garage, UK Funky
und SpeedGarage balancierend. Ebenfalls mit einem
synkopisch-swingenden Future Garage Remix für Joe Goddard am Start:
Ossie, dessen Bearbeitung eigentlich zu Unrecht auf dem undankbaren
B2-Platz der Vinylmaxi gelandet ist. Mehr Swing kommt dieser Tage
auch von Till Von Sein, der mit seinem „4,5 Minutes In Essex 1992
Jam“ für Kasper Björke's „Lose Yourself To Jenny“ die
Breakbeat-Raver ins HFN Music Boot holt, und von Mike Delinquent
Project, der mit einem Remix von Yasmins „Finish Line“ nicht nur
die Sonne rein-, sondern vor allem dem klassischen 2Step-/UK
Garage-Sound wieder rauslässt. Letztere erschienen via Ministry Of
Sound und sehr schön.
Das Melancholie und Bass gut
zusammengeht beweist SBTRKT mit einem Whitelabel und der
Matrizennummer YT075 ohne weitere Infos, auch hier ist SpeedGarage
das Stichwort, während auf Cluekids hauseigenem Label Bullfrog Beats
mit der Katalognummer 006 die Hypnosewirkung von dunkel-dräuendem
Halftime Dubstep („Swampman“) und das Hochenergiepotential von
klassischem Oldskool Jungle („Ninety Three“) ausgelotet werden.
Gerade für letzteres gibt’s mindestens mehr als einen Bonuspunkt.
R-E-W-I-N-D !!!
Zu guter Letzt entwickelt sich das
Eintreffen hochlimitierter Sascha Müller-Veröffentlichungen kurz
nach Abgabeschluss mittlerweile zum Running Gag und so erreichte mich
wieder verspätet die zweite Ausgabe der „Recycled Tapes“-Serie.
C90-Cassette, limitiert auf 15 Stück weltweit und diesmal im Split
mit Pasquale Maassen auf der Suche nach dem Spirit der französischen
DarkJungle-Szene der Endneunziger. Inhalt: insgesamt 16 Tracks
roher, ungeschliffener Drum’n’Bass, DarkJungle und
experimenteller Breakbeat fernab der hochzüchteten UK-Klangästhetik,
Sammlerstück. Ausserdem neu, krank und limitiert aus der
Müller’schen Soundschmiede: „Shit Music“ - eine CDr-Orgie in
experimentellem Noize ganz im Sinne früher V/Vm-Veröffentlichungen
mit einer Auflage von 20 Exemplaren und präsentiert in für nicht
ganz hartgesottene Gemüter schwer verdaulichem Artwork, auch wenn es
sich um Erdnussbutter und nicht das namentlich nahe liegende
Enddarmprodukt handelt. Ist das jetzt Industrial oder Punk... rein
von der Attitude her?
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 05/2012
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