...Weihnachten. Während der
Normalbürger sich zwischen Konsumrausch und Strassenkrieg zum
Jahresende den kleinen und grossen Dramen im Kreise der Familie und /
oder der Lieben widmet und der halbwegs musikinteressierte Mensch
sich wieder – und zu Recht – über die Ergebnisse ungezählter
Jahrespolls echauffiert, nutzt der Schreiber dieser Zeilen die
angeblich besinnliche Zeit, um noch einmal ein paar zu Unrecht
unterbewertete oder einfach übersehene Scheiben des letzten Jahres
Revue passieren zu lassen. Es folgt: kein Jahresrückblick.
Beginnen wir mit der schon im Juli auf
dem inselbritischen Label Peng Sound erschienenen „Gorgon Sound
E.P.“ des gleichnamigen Projektes, die dank kompliziert
verschachtelter Importumwege über Frankreich erst jüngst den Weg in
hiesige Plattenläden fand. In schwerem Karton-Gatefoldcover auf 180
Gramm-Vinyl bedient diese E.P. die Freunde des haptischen
Musikerlebnisses schon im Vorfeld des ersten Tons und entpuppt sich
mit ihren vier Tracks als wahres Brett in Sachen klassischer Dub /
DubHouse-Kultur. Mächtige, raumgreifende Analogbässe bilden das
Gerüst für fordernde 4/4 Beats sowie Dub-typische Offbeat-Chords
und Rimshots, zu denen auf zwei Tunes Junior Dread und Guy Calhoun
verhallende Vocals beisteuern. Ansonsten regiert die Tiefe des
Hallraums über die Reduktion auf absolut essentielle Elemente und
genau darin besteht die grosse Kunst der originären Dubkultur, was
diese 2x12“ zur absolut unausweichlichen Anschaffung macht.
Weiter geht es mit „Y“, dem zweiten
und wieder in kompletter Eigenregie veröffentlichten Doppelalbum des
deutschen Duos [aniYo kore], welches auch mit seinem neuen Werk der
Errettung und Wiederbelebung des vocallastigen TripHop /
Downtempo-Genres einen weiteren, riesigen Schritt näher kommt.
Musikalisch der dunklen, gern auch am Schmerz des Lebens tief
leidenden Moll-Tonlage auf skelettiertem Beatgerüst zugetan, öffnet
sich das Soundspektrum der Band auf diesem Album weg vom
Illbient-Ansatz hin zum, teils intim folkigen, Gitarren- und
Basseinsatz und inkludiert partiell sogar Raps, ohne sich jedoch weit
vom bekannten Grundton des charakteristischen [aniYo kore]-Sound zu
entfernen. Nicht ausschliesslich, aber auch, empfohlen für Freunde
von Portishead, Nicolette & Co. und in einer Auflage von 300
Exemplaren nur direkt über die Band zu beziehen.
Doch auch in puncto
Wiederveröffentlichungen und Neuauflagen hielt das vergangene Jahr
mehr qualitativ hochwertige Tonträger bereit als schriftlich in der
ihnen gebührenden Länge diskutiert werden konnten. Beispielhaft für
diesen durchaus begrüssenswerten Trend sei an dieser Stelle das via
Mute / The Grey Area im November wieder zugänglich gemachte Cabaret
Voltaire-Album „Micro-Phonies“ genannt, welches – noch einmal
neu gemastert – nicht nur die nach wie vor zwingende Aktualität
der bereits in 1984 veröffentlichten LP auf der Schnittstelle
zwischen PostPunk-Elementen, Industrial-Resten, NuBeat und modernem
Electro / ProtoTechno noch einmal neu vor die Augen einer damals noch
ungeborenen Generation führt, sondern auch aus dem Fokus geratene
Underground-Hits wie „Digital Rasta“, „Blue Heat“, „Spies
In The Wires“ und das zu jener Zeit sogar gechartete „Sensoria“
hoffentlich wieder zurück auf die Tanzflächen der Welt bringt. Must
have, weil geschichtsträchtig.
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 02/2014
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