...Winterwahn. Auch wenn die dunkle
Jahreszeit absehbar nachhaltige Veränderungen mit sich bringt,
glänzt das letzte frühlingshafte Aufbäumen des Jahres zum
Entstehungszeitpunkt dieser Zeilen noch einmal durch einen
abwechslungsreichen Strauß bunter Vinylblumen, die es mit dieser
Kolumne näher zu bestimmen gilt.
Angefangen mit dem italienischen Duo
Gianclaudio Hashem Moniri & Giuseppe Carlini a.k.a. Plaster, das
sich mit der Originalversion ihres Tracks „Circular Mechanism“
auf dem schwedischen Label SonouS dem Thema Ambient von seiner
deepen, verdubbt elektronischen Seite her nähert und einen wahren
Trip zwischen Deadbeat'scher Unterkühlung und der trippig
hypnotischen Wirkung zu Unrecht unterschätzter Klassiker aus der
Feder von Nommo Ogo oder Carlito Verde abliefert. Auf der Flipside
findet sich ein Remix von Substance, der sich voll und ganz dem
maximalstverzögerten SciFi-Dub widmet und sich dank seines
schleppenden Ungrooves auch im Illbient-Kontext als wirksamer
Lieferant innerer Unruhe und psychischer Unrast anbietet.
Das Gegenteil dieser Unrast findet sich
mit Race To Space's „Baikal“ auf der dritten Vinylausgabe des
russischen Imprints Ketama Records. Zwar findet sich auch hier ein
Hang zur ambientösen Trippigkeit, diese jedoch fusioniert mit
lieblichem Frauengesang und einem Downbeat (Not Downbeat)-Gefühl zu
einer durchaus hörangenehmen Angelegenheit, die veredelt durch
Remixer wie Benji Vaughan, Tripswitch und Electrosoul System nie die
musikalische Komfortzone verlässt, selbst wenn es - wie im
letztgenannten Remixfall – auch um Dancefloor-affine Beats mit
abstrahierte NuSkoolBreaks-Ausrichtung geht. Sehr schön.
Ebenfalls schön und auf sehr
erstaunliche Weise trotz ca. 50%iger Überschneidung zum Originalwerk
wesentlich tiefgehender und kohärenter präsentiert sich die jüngst
in limitierter Version auf schneeweissem Vinyl erschienene
Instrumentalversion des zu Recht hoch gelobten „Lost“-Albums aus
der Feder des dänischen Produzenten Anders Trentemøller, das in
dieser Form noch eine weitere. neue Perspektive auf seine
musikalischen Fähigkeiten eröffnet. Ein perfekter Soundtrack für
geisterhaft vernebelte Frühwintertage.
Ebenfalls in coloriertem Vinyl gepresst
ist die Laufnummer 022 des inselbritischen Drum'n'Bass-Labels Sinuous
Records, das mit dieser die beiden Tracks „Excavator“ und
„Complexity“ aus dem Studio des Produzenten Minor Rain direkt auf
die Tanzflächen katapultiert. Extrem aufgeräumtes Sounddesign
trifft im erstgenannten Tune auf messerscharfe Beats im Sinne des
„long black tunnel“ der Endneunziger Virus-Schule, die ihre
Faszination nicht nur aus der absolut technischen Versiertheit der
Produktion, sondern auch aus ihren unterkühlten, sci-fi-verliebten
und komplex verstolperten Percussion-Motiven schöpft, die sich mit
tödlicher Präzision um die Hauptelemente Bassdrum und Snare winden.
Auf der Flipside übernimmt dem Namen entsprechend eben genau jene
Komplexität in Form minimalistischer, sich nahezu ineinander
verschlingenden Beats die tragende Rolle und überführt das Erbe
früher Photek-, Hidden Agenda- und Source Direct-Produktionen in
minimalistischer Form in die Jetztzeit. Call it Complex Jungle?
Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 12/2013
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